Mit der #stadtsache App sollen Kinder rausgehen, genau hinschauen und im eigenen Stadtviertel mitmischen. Wozu das gut ist und wie es funktioniert, haben wir Anke M. Leitzgen – die Erfinderin der App – gefragt.

Frau Leitzgen, für wen ist die #stadtsache App gedacht?

Anke M. Leitzgen: Jeder, der Lust hat, etwas über seine Stadt zu erfahren, einen neuen Blick auf sie gewinnen will, oder einfach dazu beitragen will, die Stadt oder auch sein Dorf zu einem besseren Ort zu machen, kann die #stadtsache App nutzen. Denn die App heißt zwar #stadtsache, aber sie funktioniert überall – auch auf dem Land.

Welche besondere Idee steckt dahinter?

#stadtsache ist ein niederschwelliges, crossmediales Werkzeug, das zwei Dinge kann: einerseits Kinder und Jugendliche dafür sensibilisieren, die Stadt, in der sie leben, bewusster wahrzunehmen. Und andererseits kinderfreundliche Stadtentwicklung unterstützen. Beides gelingt, weil in der App Fragen gestellt werden, die mit Fotos, Videos, Texten oder Tonaufnahmen beantwortet werden können.

#stadtsache betritt also in vielen Hinsichten Neuland. Was hat Sie auf die Idee gebracht?

Zunächst einmal der Wunsch, Kindern und Jugendlichen eine Stimme in der Stadt zu verleihen. Sie sind nachweislich diejenigen, die die Stadt am intensivsten nutzen und gleichzeitigen diejenigen, die am wenigsten Gehör finden. #stadtsache soll als App und crossmediales Projekt helfen, dass die Verantwortlichen der Stadt herausfinden können, wo es ihren jüngsten Bewohnern tatsächlich auf den Nägeln brennt. Viele Probleme – wie heruntergekommene Schultoiletten – liegen zwar auf der Hand. Aber nicht immer ist das, was die Erwachsenen als Problem sehen, auch das drängendste Problem der Kinder.

Die App kommt farbenfroh und kinderleicht daher. Screenshot #stadtsache App, © Anke M. Leitzgen

Das klingt interessant. Die App bietet quasi eine moderne Form der Kinder- und Jugendbeteiligung?

Ja. #stadtsache ist ideal für die Projektarbeit. Ein Beispiel: Der Förderverein der Schule möchte wissen, ob ein bestimmter Geldbetrag besser in die Gestaltung des Pausenhofs oder in die Sanierung der Toiletten fließen soll. Das kann mit Hilfe der App als Beteiligungsinstrument schnell herausgefunden werden. Von den bereits vorhandenen Bildern kann man sich inspirieren lassen, um neue Lösungen zu finden. Spielplatzgeräte sind da ein gutes Beispiel. Viele Kinder kennen nicht mehr als Schaukel, Rutsche und Wipptier. Wenn sie nun gefragt werden, was wünscht ihr euch, fällt ihnen oft nicht mehr ein, als eine tollere Rutsche oder eine bessere Schaukel – und bloß nicht noch ein Wipptier … In der App gibt es aber ganz viele ungewöhnliche Klettergerüste und Spielgeräte, die den Horizont erweitern und damit Kinder und Jugendliche zu ernstzunehmenden, impulsgebenden Gesprächspartnern machen.

Aber nicht alle Kinder haben ein eigenes Handy…

Das ist kein Problem. Denn am Schönsten ist es ohnehin, wenn man als Team loszieht. Sei es als Schülergruppe oder auch als Familie. Es genügt ein Gerät für vier, fünf Teilnehmer. So wie auf einer Baustelle nur einer den Kran oder den Bagger bedient, ist es vor allem in der Projektarbeit sinnvoll, wenn in Kleingruppen einer das Handy oder Tablet bedient, die anderen die Gegend auskundschaften, um Fundsachen zu finden. Wenn nur einer in der Gruppe mit der Technik befasst ist, bleibt für die anderen der Blick auf die Welt frei.

Diese Mädchen sind voll dabei. Foto: © Anke M. Leitzgen

Eines ist in diesem Zusammenhang auch noch wichtig: Es waren bereits viele Kindergruppen ab dem Vorschulalter unterwegs mit der App, aber nach oben gibt es keine Altersgrenze. Aktuell arbeiten zum Beispiel Studenten damit, um herauszufinden, wie Senioren davon profitieren können.

Kostet die Nutzung etwas?

Nein. Jeder kann die App für iOS und Android kostenlos herunterladen. Diese Möglichkeit verdanken wir der tollen Unterstützung der StadtBauKultur NRW. Die Einrichtung einer geschlossenen Gruppe können wir nicht kostenlos anbieten, weil wir sie extra einrichten müssen und die Serverkosten tragen.

Sie sind gerade mit der GIGA-Maus als beste App zum Nachschlagen für Kinder ausgezeichnet worden …

Ja, das ist toll! Über die GIGA-Maus freuen wir uns wirklich sehr! Im ersten Moment waren wir ein wenig verblüfft über die Kategorie, aber es stehen wohl nicht viele zur Wahl. Und #stadtsache ist weder eine Spiele-App, noch eine Lern-App, auch wenn man sie sehr spielerisch einsetzen kann und eine Menge dabei lernt. Tatsächlich gibt es aber durch die bislang rund 8.000 Fundsachen auch eine Menge zum Nachschauen. Insofern passt es letzlich irgendwie doch.

Wow! Schon 8.000 gesammelte Fotos! Was fotografieren die Kinder denn am meisten?

Alles was sie bewegt. Das kann der Lieblingsbaum am Schulwegrand sein, aber auch die kaputte Treppe zum Hausmeisterbüro, der mit Kaugummis übersäte Bürgersteig, die Schultoilette. Jüngere Kinder finden Graffiti ganz schrecklich. Interessant ist, dass sie aber immer mehr Dinge gut finden als schlecht. So viel Wertschätzung überrascht die Verantwortlichen der Stadt oft.

Und was machen die Kinder dann mit den bunten Bildern?

Ein Kind, das ein Bild mit der App macht und einer Frage zuordnet, vergößert automatisch die Bildersammlung. Damit beteiligt es sich an einem Projekt, das man durchaus schon zur Bürgerforschung zählen kann. Das Besondere ist, dass hier die Sicht von Kindern und Jugendlichen abgebildet wird. Gleichzeitig kann man sich über die Karte immer anzeigen lassen, ob andere schon am gleichen Ort waren und was sie dort entdeckt haben. Der besondere Nutzen der #stadtsache-App liegt darin, dass man als Kommune, Jugendverein oder Schulklasse auch eine eigene, geschlossene Gruppe mit eigenen Fragen bestücken kann und die Fundsachen in Form einer Präsentation von den Projektverantwortlichen an die Behörden und Ämter weitergegeben werden können.

Auch für die Spielplatz-Planung kann die App genutzt werden?

Sehr gut sogar. Kinder sind schließlich Spielplatz-Experten. Sie wissen, welche Spielgeräte gut und welche eher langweilig sind. Gleichzeitig kann man nachschauen, welche tollen Dinge schon gefunden wurden.

Fundsache

In der App gibt es auch „witzige“ Spielorte zu entdecken. #stadtsache-Screen, © Anke M. Leitzgen

Auf diese Weise hilft #stadtsache dabei, herauszufinden, was sich Kinder wirklich wünschen. Spielplätze können so viel mehr sein als wenig einladende Orte mit Sandkasten, Schaukel und Wippe. Kinder brauchen Rückzugsorte, Erwachsene bequeme und Sitzgelegenheiten. Ein attraktiver Spielplatz sagt unglaublich viel über die Kommune aus, in der er steht. Nämlich: Wir nehmen die Kinder ernst und finden es wichtig, dass sie Plätze haben, an denen sie sich gern aufhalten. Mit der App lässt sich schnell erkennen, wo das bereits so ist – und wo nicht. Das funktioniert auch ganz wunderbar in der kostenlosen Version. Darin gibt es extra die Sammlung „Verspieltes“, die Fragen zur Qualität der Spielplätze enthält.

Wer nutzt die App schon?

Wir haben aktuell 1846 Nutzer, die keiner Gruppe angehören. Dann gibt es weitere 1332 Nutzer, die in einer geschlossenen Gruppe, das heißt, nicht öffentlich sichtbar, die Stadt in einem Projekt untersucht haben. Diese Gruppen werden von Stadtplanern, Landschaftsplanern, Kommunen, Jugendämtern, Schulen und Bibliotheken ins Leben gerufen.

In Ergänzung zur #stadtsache App gibt es das Buch „Jetzt entdecke ich meine Stadt“. Darin finden sich jede Menge Ideen für eigene Foto-Sammlungen, Anregungen zum Arbeiten mit der App und auch Herausforderungen für kleine und große Stadtabenteurer.

Wenn ihr das auch so spannend findet wie ich, könnt ihr euch gleich die #stadtsache App kostenlos runterladen und durchstarten. Vielen Dank, Anke M. Leitzgen, für diese Einblicke und weiterhin viel Erfolg mit der #stadtsache App.