Vor gut drei Jahren haben wir Fred Roemer und sein Projekt „Lernziel Spielen“ im Interview vorgestellt. Heute erzählt er selbst, wie sein Projekt nach Corona zum Erfolgsmodell wurde und warum das freie Spiel auf dem Abenteuerspielplatz wertvoller ist, denn je.
Ein Gastbeitrag von Fred Roemer – Initiator und Projektleiter „Lernziel Spielen“
Vom Spielplatz zur Lernstätte – Die Idee hinter „Lernziel Spielen“
2016 kam mir eine simple Idee: Ich wollte Kindern wieder den fast verlorengegangenen Zugang zu ihrem ureigenen Bedürfnis nach freiem Draußenspiel eröffnen. Schulklassen sollten Schulvormittage nicht im Klassenraum verbringen, sondern spielend, entdeckend und voller Bewegung auf dem Abenteuerspielplatz Melverode.
Was mit dieser einfachen Idee begann, hat sich nach und nach zu einem erfolgreichen Herzensprojekt entwickelt. Als 2021 der erste Beitrag über „Lernziel Spielen“ hier bei Spielplatztreff erschien, beteiligten sich 11 Schulen mit rund 600 Schülerinnen an dem Projekt. Heute sind es mittlerweile 24 Schulen mit über 4.000 Schüler*innen aus mehr als 200 Klassen.

LERNZIEL SPIELEN – AUF DEM ABENTEUERSPIELPLATZ
Mehr über die Anfänge von „Lernziel Spielen“ erfahrt ihr in unserem Interview mit Fred Roemer aus dem Jahr 2021. Zum Interview
Nach Corona: Zurück zur Bewegung und Gemeinschaft
Während der Pandemie mussten wir 2021 pausieren. Doch kaum waren die Einschränkungen aufgehoben, wurde der Platz förmlich überrannt. Vielen Lehrkräfte erkannten, es fehlte nicht nur an schulischem Wissen, sondern auch an sozialen Kontakten. Deshalb kam es im Präsenzunterricht vielerorts zu Spannungen und Konflikten.
Rennen, Klettern, Balancieren, Springen und Schaukeln sind einfach grundlegende Bedürfnisse, die viel zu lange unterdrückt wurden.
Fred Roemer
Auf dem Abenteuerspielplatz hatten die Kinder endlich wieder die Möglichkeit, sich spielerisch neu kennenzulernen, Beziehungen zu knüpfen und die Balance im Umgang miteinander auf ganz natürliche Weise wiederzufinden. Zugleich konnte auch dem Bewegungsmangel entgegengewirkt werden. Viele Lehrkräfte waren regelrecht erstaunt, mit welcher Freude und Intensität sich die Kinder auf dem Spielplatz bewegten. Rennen, Klettern, Balancieren, Springen und Schaukeln sind einfach grundlegende Bedürfnisse, die viel zu lange unterdrückt wurden.
Entdecken, wachsen, Freundschaften stärken
Auf dem Abenteuerspielplatz entscheiden die Kinder selbst, was für sie gerade wichtig ist – ob Buden bauen, Erfinden, Entdecken oder in Fantasiewelten eintauchen. Sie erleben Freiheit, Eigenverantwortung und Gemeinschaft. „Die vielfältigen Möglichkeiten genießen die Kinder sehr. Das soziale Miteinander wird gestärkt. Die Kinder spielen in immer wieder neuen Konstellationen, Konflikte treten nur selten auf. Darüber hinaus trainieren sie ganz nebenbei ihre motorischen Fähigkeiten.“, freut sich die Schulleiterin Corinna Hollinger der Grundschule Comeniusstraße in Braunschweig.

Auch die Kinder selbst sind begeistert, wie sie in kleinen Aufsätzen nach den Ausflügen festhalten: „Am Abenteuerspielplatz gefällt mir gut, dass wir dort viele Freiheiten haben und dass wir bauen können. Ich finde toll, dass wir während der Schulzeit dort sind und dort neue Freunde finden, also Kinder aus der Klasse, denen wir bisher aus dem Weg gegangen sind. Wir lernen dort Sachen, die wir in der Schule nicht lernen.“
Vom Spielplatz zum Lernraum mit Plan
Zusätzlich zum freien Spiel stehen heute auch feste Unterrichtseinheiten auf dem Programm – immer mit Bewegung, Kreativität und Naturbezug.
Fred Roemer
Inzwischen ist das Interesse vieler Schulen an dieser lebendigen Form des Lernens gewachsen. Durch eine enge Kooperation mit der Braunschweiger Grundschule Comeniusstraße hat sich das Projekt weiterentwickelt: Alle Klassen dieser Schule besuchen den Abenteuerspielplatz nun regelmäßig einmal im Monat. Zusätzlich zum freien Spiel stehen heute auch feste Unterrichtseinheiten auf dem Programm – immer mit Bewegung, Kreativität und Naturbezug.
Hier einige Beispiele aus dem Unterricht:
- In Mathe werden Achsensymmetrien entdeckt sowie Entfernungen und Zeiträume anhand der Seilbahnrutsche gemessen.
- Im Werk- und Sachunterricht werden Pflanzenpressen gebaut und die gepressten Blätter botanisch bestimmt.
- In Kunst und Theater entstehen Märchenaufführungen mit echten Kulissen – etwa Rumpelstilzchen am Lagerfeuer.
- In Deutsch fördert eine ABC-Rallye spielerisch Sprachverständnis, Teamarbeit und genaues Beobachten.


Mittlerweile wird „Lernziel Spielen“ nun sogar in den Wintermonaten aktiv genutzt – eine Entwicklung, die mich besonders freut, weil sie zeigt, wie tragfähig und alltagstauglich das Konzept geworden ist.
Lernen mit Sinn und Bewegung
Für die Kinder ist die Grenze zwischen Arbeit und Spiel oft fließend.
Fred Roemer
Der Abenteuerspielplatz Melverode ist auf diese Weise zu einem ganzheitlich wirksamen Bildungsraum geworden, wo Spiel und Lernen eng ineinander greifen. Für die Kinder ist die Grenze zwischen Arbeit und Spiel oft fließend. Ein Beispiel aus dem Mathematikunterricht macht das besonders greifbar: Nach zwei Stunden Kombinatorik-Aufgaben durften die Kinder eigentlich ins Freispiel wechseln. Doch einige beschwerten sich: „Wir sollen jetzt aufhören mit Arbeiten und müssen jetzt frei spielen? Wir würden aber lieber weitermachen.“ Sie durften natürlich weiter „arbeiten“. Gerade diese kleine Episode macht für mich den ganz besonderen Zauber von „Lernziel Spielen“ aus.

Fazit: Mehr als Spiel – ein Schlüssel zum Lernen
Viele Kinder lernen tatsächlich erst über dieses Projekt, was es bedeutet, frei, gemeinsam und aus sich selbst heraus zu spielen. Und genau darin liegt eine große Chance: Denn wer selbstvergessen spielt, lernt mit Neugier, Ausdauer und echter Begeisterung – Fähigkeiten, die auch im Schulalltag den entscheidenden Unterschied machen können.
Davon ist auch das Kollegium der Comeniusschule überzeugt: „Die Vielfalt der Aktivitäten und die Begeisterung der Kinder zeigen, wie wichtig solche außerschulischen Lernorte für eine ganzheitliche Bildung sind. Wir freuen uns auf viele weitere spannende Lernabenteuer auf dem Abenteuerspielplatz Melverode!“

ÜBER FRED ROEMER:
Fred Roemer ist Initiator und Rückgrat des Projekts „Lernziel Spielen“. Der pensionierte Lehrer verbringt zwischen 70-90 Stunden pro Monat auf dem Abenteuerspielplatz Melverode. Vor Ort sorgt er dafür, dass alles läuft: Er öffnet die Räume, macht im Winter das Lagerfeuer an, versorgt Kinder mit Werkzeug und Pflaster und begrüßt die Lehrkräfte mit frischem Kaffee. Nebenbei koordiniert er Termine, schreibt Anträge und hält den Kontakt zu den Schulen.
Foto: Fred Roemer, privat

Interessierte Schulen erhalten in diesem Flyer zum Projekt „Lernziel Spielen“ weitere Informationen.
Vielen Dank, Fred Roemer, für die inspirierenden Einblicke und Ihr großes Engagement. Möge das Projekt weiterhin viele Kreise ziehen – und Schule in Zukunft öfter draußen stattfinden. Übrigens: Trotz der beeindruckenden Anzahl der teilnehmenden Kinder gibt es leider keine Förderung aus öffentlicher Hand. Die Finanzierung wird im Moment durch die Unterstützung von Stiftungen gesichert. Spenden sind daher herzlich willkommen!
Titel-Foto: Eine Schülerin konzentriert bei der „Arbeit“ – sie steckt mit Löwenzahnblüten Muster in ein Bodentrampolin. ©Fred Roemer
DAS KÖNNTE DICH AUCH INTERESSIEREN:

WAS SIND EIGENTLICH ABENTEUERSPIELPLÄTZE?
Podcast: Was passiert, wenn Kinder ihren Spielraum selbst gestalten – ganz ohne genormte Spielgeräte? Darum geht’s in dieser Folge von „Spielplatz Zeit“. Jetzt anhören
LETZTE KOMMENTARE