Inklusion auf dem Spielplatz hat zum Ziel, dass niemand ausgeschlossen wird und alle gemeinsam spielen können. Doch wie sieht so ein inklusiver Spielplatz eigentlich aus? Das haben wir uns auf dem BELLA Spielplatz in Erfurt mal genauer angeschaut. 

Seit 2017 erfreut sich der barrierefreie und integrativ nutzbare BELLA Spielplatz in Erfurt großer Beliebtheit. Sabine Friedemann, Spielplatzplanerin vom Büro FRIEDEMANN & WEBER, war damals mit der Planung des inklusiven Spielplatzes beauftragt. Sie hat uns beschrieben, wie es gelungen ist, den bereits bestehenden Spielplatz barrierefrei und inklusiv neu zu gestalten.

Befahrbares Spielgerät zum Rutschen und Sandeln

Das Herzstück des inklusiven BELLA Spielplatzes besteht aus einer großflächigen Spielgerätekombination aus Holz und Metall mit angebauter Rutsche sowie zwei Sandaufzügen. Über Rampen (max. 6% Steigung) lässt sich das Spielgerät mit dem Rollstuhl befahren. Beidseitig der Rampen befinden sich Radabweiser, damit der Rollstuhl nicht seitlich herunter rollen kann. 

Die Rutsche ist extra breit. So können Kinder gleichzeitig nebeneinander rutschen, aber auch ein Kind gemeinsam mit seinen Eltern. Sitzt ein Kind im Rollstuhl, kann es über die Rampen hochgefahren werden. Oben bleibt der Rollstuhl stehen, die Eltern rutschen gemeinsam mit ihrem Kind und können anschließend über einen Holzaufstieg nahe der Rutsche den Rollstuhl auf kurzem Wege wieder herunterholen. Oben auf den Podesten sind verschiedenen Spielelemente(tafeln) und farbige Plexiglasscheiben angebracht, durch die man durchgucken und die Welt in anderen Farben sehen kann. Die Edelstahl-Handläufe bieten Halt und Orientierung für diejenigen, die nichts sehen können. Für die, die schlecht sehen, ist eine farbige Markierung an den Stützen des Handlaufes gedacht.

Die Sandtische stehen separat innerhalb der Sandfläche, allerdings am Rand, um eine Unterfahrung bzw. zumindest ein Heranfahren zu ermöglichen.

Unterfahrbarer Sandspieltisch
Der Sandspieltisch ist unterfahrbar und steht dafür extra am Rand der Sandfläche. Foto aus der Bauphase. ©Stadtverwaltung Erfurt

Schaukeln und Träumen

Die auf dem alten Spielplatz bereits vorhandene „Königinnen-Schaukel“ – eine Dreier-Reifenschaukel – wurde aufgrund ihrer Beliebtheit in das neue Spielplatz-Konzept integriert. Ein interessantes Spielgerät, auf dem Kinder alleine und gemeinsam schaukeln können. Wenn ein Kind, beispielsweise aufgrund einer körperlichen Einschränkung, selbst keinen Anschwung geben kann, funktioniert diese Reifenschaukel ebenfalls. Denn alle Schaukel-Elemente sind an einer Vorrichtung miteinander verbunden. Die körperlich fitteren Kinder setzen die Schaukel in Bewegung und nehmen das Kind, was nicht selbst Schwung geben kann, automatisch mit.

barrierefreie Schaukel
Die „Königinnen-Schaukel“ ermöglicht es Kindern, sich mitschaukeln zu lassen. Foto: erdbaerchen / Spielplatztreff.de

Zusätzlich wurde im Schaukelbereich eine Vogelnestschaukel aufgestellt. Aber nicht mit kleinem, rundem Korb, wie man es von vielen Spielplätzen kennt. Sondern eine Vogelnestschaukel – der „fliegende Teppich“ – mit extra großer Liegefläche und engmaschigem Netz. Die Schaukel kann von mehreren Kindern gemeinsam bespielt werden. Aber auch große Kinder mit körperlichen Einschränkungen können darin liegen, schaukeln und träumen. Als Bodenbelag wurde Holzhäcksel gewählt, so dass bis an die Schaukel mit dem Rollstuhl heranfahren lässt. Aus Denkmalschutzgründen wurde an dieser Stelle auf Kunststoff-Belag verzichtet.

Vogelnest-Schaukel
Die Vogelnestschaukel „Fliegender Teppich“ ist mit extra großer Liegefläche. Foto: erdbaerchen / spielplatztreff.de

Drehen und Hüpfen

Eine Hauptattraktion des Spielplatzes ist das rollstuhlgerechte Karussell. Es kann von Kindern mit und ohne Rollstuhl benutzt werden, da es sowohl mit normalen Sitzplätzen als auch Rollstuhlflächen ausgestattet ist. Diese Kombination ermöglicht das gemeinsame Spielen von Kindern mit und ohne körperliche Beeinträchtigung. Das Besondere an der Konstruktion: Steht ein Rollstuhl auf der dafür vorgesehenen Fläche, kann das Spielgerät nur angeschoben werden, wenn der Edelstahlbügel heruntergeklappt und dadurch der Rollstuhl gesichert wird.

Mittig zu sehen das Rollstuhlkarussell, dahinter das kleine Trampolin und links im Bild das Dreh-Element. Die gelben Kreise im Kunststoff-Belag markieren die Stellen, an denen viel Bewegung ins Spiel kommt. Foto: erdbaerchen / spielplatztreff.de

In der Nähe zum Rollstuhlkarussell wurde zusätzlich eine kleine Drehscheibe aufgestellt, die vornehmlich von kleineren Kindern im Sitzen, aber auch im Liegen, genutzt werden kann. Eltern legen ihre Kinder in die Drehscheibe und geben Schwung. Als weiteres Spielangebot wurde ein Trampolin ebenerdig in den Boden integriert. Dadurch haben nicht nur körperlich fitte Kinder die Möglichkeit zu hüpfen, sondern auch Kinder im Rollstuhl.

Leichtere Orientierung für alle

„Die gesamte Gestaltung des Spielplatzes hatte zum Ziel eine Anlage zu schaffen, die für alle passt. Wer dort ohne körperliche oder geistige Einschränkung spielen geht, merkt all die speziellen Überlegungen ggf. gar nicht. Wer aber den Bedarf hat, kann die Funktionen nutzen.“, erklärt Sabine Friedemann die Grundgedanken zum Konzept.

Beschilderung

Auf dem Spielplatzgelände wurden Informationsschilder zur Orientierung für sehbehinderte und blinde Menschen integriert. Auf größeren Gesamtschildern an den Eingangsbereichen kann die komplette Spielanlage gesehen und erfühlt werden. Auf kleineren Detail-Schildern können sehbehinderte Menschen erfahren, welches Spielgerät wo steht und worauf bei der Benutzung der jeweiligen Spielgeräte zu achten ist. Alle Beschilderungen sind visuell und taktil (tasten) erfassbar und sind neben einer Pyramidenschrift auch in Brailleschrift ausgeführt.

Spielplatzbeschilderung in Brailleschrift
Auch an die Beschilderung in Brailleschrift (Blindenschrift) wurde gedacht. Foto aus der Bauphase ©Stadtverwaltung Erfurt
Taktile Wegeführung

Die Wegeführung ist so angelegt, dass sie für sehende und blinde Menschen gleichermaßen funktioniert. Rechts und links der Fußwege wurde der Randstreifen mit Granit gepflastert. Somit ist die Einfassung des Weges gleichzeitig auch ein taktiles Aufmerksamkeitsfeld. Wer blind ist, kann mit seinem Langstock die Ränder abtasten und weiß, wo der Weg zu Ende ist und wo die Spielfläche beginnt. Auch mit den Füßen sind die unterschiedlichen Bodenbelege zu spüren.

Zusätzlich wurden breite Pflasterbänder aus Granitsteinen quer über den Weg gepflastert, immer genau dort, wo Detail-Schilder stehen. Dabei handelt es sich um so genannte Auffindestreifen. Blinde oder sehbehinderte Menschen, die diese taktilen Linien lesen können, tasten sich an der Linie entlang und wissen: Aha, hier steht ein Informationsschild.

Die Ränder der befestigten Wege lassen sich mit Hilfe der gepflasterten Granitsteine ertasten. Foto: erdbaerchen / spielplatztreff.de

Farben und Kontraste

Menschen, die sehbehindert sind, benötigen starke Kontraste, um sich in ihrer Umwelt besser orientieren oder um Dinge sehen zu können. Genau deshalb wurde auf dem Spielplatz mit knalligen Farben und Kontrasten gearbeitet. So ist das große Hauptspielgerät eingerahmt von kontrastreichen Metallrohren in orange und blau: orangefarbene Stangen mit blauen Kringeln in Richtung Park und blaue Stangen mit orangefarbenen Kringeln markieren die Seite abwärts – oben auf dem Foto zu sehen.

Ebenso befinden sich in den Kunststoff-Belegen an einigen Stellen farbige Markierungen in Form von gelben Kreisen. Und zwar immer an den Stellen, wo Bewegung ins Spiel kommt, wie zum Beispiel am Ende einer Rutsche. Diese Kreise fungieren als visuelle Aufmerksamkeitsfelder. Das heißt, wenn jemand schlecht sehen kann, dann hilft dieser Farbkontrast auf dem Boden, um darauf hinzuweisen: Achtung, hier kommt Bewegung, hier muss ich aufpassen.

Rutsche und Trampolin mit Aufmerksamkeitsfeldern
Die gelben Kringel kennzeichnen Flächen, auf denen viel Bewegung stattfindet. Fotos aus der Bauphase. ©Stadtverwaltung Erfurt

Die Sinneswand zum Tasten, Hören und Informieren

Ein besonderes Element ist die Sinneswand (Betonmauer), die den BELLA Spielplatz zur Straße hin begrenzt und allerlei Seh-, Tast- und Hörerfahrungen ermöglicht.

Bella Spielplatz Spielwand
Die Mauer – gestaltet als Spielwand – bildet nicht nur die Begrenzung des Spielplatzes, sondern lädt die Kinder zum spielerischen Lernen und Entdecken ein. Foto aus der Bauphase. ©Stadtverwaltung Erfurt

Sie wurde sehr aufwändig und kunstvoll mit einer Kunstschule und Kindergruppen gemeinsam gestaltet. So gibt es beispielsweise in der Mauer farbige Fenster zum Durchschauen, Tasthölzer und -steine mit verschiedenen Oberflächen, kunstvoll gestaltete Reliefplatten aus Metallguss mit Blättern und Tierspuren zum Ertasten, taktile Infotafeln zu Brailleschrift und zum Gebärden-Alphabet, sowie zusätzliche Informationen für die Menschen, die mit solchen Informationen oder Themen sonst nicht in Berührung kommen.

Spielelemente zum Tasten und Fühlen
Hier einige Elemente der Sinneswand. Fotos: Büro Friedemann & Weber

In einem anderen Abschnitt der Mauer geht es darum mit Blinden durchzulaufen und über Geräusche das Gehör zu trainieren. Im Umkreis des Spielplatzes, so erfahre ich von Sabine Friedemann, befinden sich verschiedene Einrichtungen, wie beispielsweise die Lebenshilfe, die dieses Angebot nun in der Tagesbeschäftigung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern nutzen und draußen mit den sehbehinderten Kindern so etwas trainieren können. Oder nicht betroffenen Kindern verdeutlichen zu können, was es bedeutet, nichts zu sehen oder zu hören.

Ruhebereich mit Sinnes-Anregungen

Ergänzt wird das Angebot auf dem BELLA Spielplatz durch einen Rückzugs- und Ruhebereich, der verschiedene Sinne anspricht. So lädt dort ein Hochbeet mit Duftpflanzen und essbaren Kräutern zum Verweilen ein. Zur Förderung der Körperwahrnehmung dienen ein drehbarer Stein zum Fühlen sowie ein großer Horchstein. In letzteren kann man seinen Kopf reinstecken und die eigenen Geräusche (z. B. summen) über die Innenwand des Steines hören. Auch hier erläutern große, ertastbare 3-D-Informationstafeln die Nutzung der Elemente. Und überall wurden Sitzflächen mit differenzierten Höhen, für besonders große und kleine Menschen und zur Nutzung durch Rollstühle oder Rollatoren integriert.

Der Horchstein (unten rechts) sowie der Drehstein in Kombination mit einem Hochbeet bieten außergewöhnliche Sinneswahrnehmungen für alle Besucherinnen und Besucher. Foto: Büro Friedemann & Weber

Wie kam es zum Umbau des BELLA Spielplatzes?

Das Grundkonzept für das Vorhaben entstand bereits 2015 und 2016 nach der Idee der Elterninitiative „BELLA – Barrierefrei in Erfurt, Leben, Lachen, Anders sein“. Die Eltern mit Kindern verschiedener Einschränkungen bis hin zu schwersten Behinderungen wollten für die Bedürfnisse ihrer Kinder einen besonders gestalteten Spielplatz mit differenzierten Spiel- und Sinnesangeboten inmitten der Stadt haben. Dafür sammelten sie 100.000 Euro an Spenden. Die Stadt Erfurt unterstützte das Projekt von Beginn an. Sie fand den geeigneten Standort in der Tettaustraße – ein zentral gelegener Spielplatz mit Sanierungsbedarf – und schoss einen Großteil der Finanzierung aus städtischen Haushaltsmitteln dazu.

„Es war ein langer, anstrengender, aber auch gewinnbringender Prozess mit vielen Beteiligten (Eltern der Elterninitiative, Gartenamt der Stadt, Spielgerätehersteller, Planungsbüro, Behindertenbeirat, Blindeninstitut) diesen Spielplatz zu planen“, erinnert sich Sabine Friedemann. „Die Eltern hatten viele verschiedene Wünsche, weil die Behinderungen der Kinder sehr unterschiedlich waren. Alles zusammenzufassen und sicherzustellen, dass da etwas entsteht, das für alle Kinder nutzbar wird, das war die größte Herausforderung. Auch gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der DIN EN Normen für Spielplätze und der Denkmalschutz mussten beachtet werden.“

Das Fazit und Ausblick

Das Angebot auf dem BELLA Spielplatz ist vergleichsweise vielfältig. Derartig umfangreich wird es nicht möglich sein, zukünftig alle Spielplätze auszustatten. Nicht ALLE unterschiedlichen Bedürfnisse unter einen Hut zu kriegen, sollte der Anspruch an die Spielplatz-Gestaltung sein. Sondern wichtig ist es, endlich grundsätzlich inklusiv zu denken. Das bedeutet, so viele Menschen wie möglich mitzunehmen: Große, Kleine, Junge, Alte, Kinder, Erwachsene, Kranke, Gesunde, usw. Damit das gelingt, sollten möglichst barrierefreie Zugänge zu den Spielbereichen und eine barrierefreie Wegeführung zum Standard für die Spielplatz-Gestaltung werden. Damit wäre schon sehr viel erreicht. Mit jedem weiteren inklusiven Planungsprozess kommen wertvolle Informationen und Erfahrungen dazu, die in das nächste Spielplatzvorhaben mit einfließen. Der BELLA Spielplatz war in Erfurt der Anfang. Der lange Planungsprozess  bei den folgenden Projekten der Stadt Erfurt für das Grundanliegen für mehr Inklusion auf den Spielplätzen der Stadt erfolgreich geworben hat.

Titel-Foto: Auf dem inklusiven BELLA Spielplatz in Erfurt können alle Kinder gemeinsam spielen. Foto aus der Bauphase. ©Stadtverwaltung Erfurt