Spielplätze sind beliebte Orte für Kinder und ein Spielplatz-Besuch soll Spaß machen. Doch nicht selten kommt es zu Spielplatz-Unfällen, die die Freude trüben können. Trotzdem kein Grund zur Panik, sagt Annette Kuhlig von der Unfallkasse Berlin. Denn es kommt nicht darauf an, alle Spielplatz-Unfälle zu verhindern, sondern die schweren. Und damit das gelingt, können auch wir Eltern eine ganze Menge tun.

Warum kennt sich Annette Kuhlig so gut mit dem Thema Spielplatz-Unfälle aus? Ganz einfach: Annette Kuhlig arbeitet bei der Unfallkasse Berlin in der Abteilung Prävention. Ziel ihrer Präventionsarbeit ist es, in staatlichen Einrichtungen (Kita, Schule, etc.) Bedingungen zu schaffen, damit möglichst keine Unfälle passieren: „Wir wollen in erster Linie schwere Unfälle verhindern. Das ist unser Hauptaugenmerk.“ Dafür verteilt die Unfallexpertin Broschüren, hält Vorträge, gibt Seminare, um zum Beispiel auch Kita-Leitungen darüber zu informieren, was sie beachten müssen, damit der Kita-Alltag sicher und gesund abläuft. Alle Unfälle, die in  solchen Einrichtungen dann trotzdem passieren und eine ärztliche Behandlung nach sich ziehen, werden in der Unfallkasse statistische erfasst. Und deshalb hat Annette Kuhlig einen sehr guten Überblick über das Unfallgeschehen mit Kindern. Doch sie gibt Entwarnung.

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Spielplatz-Unfälle sind häufig nicht schwerwiegend

Da wo sich die Kinder viel aufhalten, wo sie sich bewegen, da passieren eben auch die meisten Unfälle.

Annette Kuhlig, Unfallkasse Berlin

Die meisten Unfälle in der Kindertageseinrichtung passieren entweder im Gebäude selbst oder auf dem Spielplatz. Das ist jedoch nicht verwunderlich, findet Annette Kuhlig: „Da wo sich die Kinder viel aufhalten, wo sie sich bewegen, da passieren eben auch die meisten Unfälle.“ Trotzdem oder gerade deshalb müssen allerlei Vorschriften eingehalten und auch überprüft werden, damit Spielplatz-Unfälle möglichst vermieden werden. So ist der Kita-Träger beispielsweise verpflichtet, für die regelmäßige Wartung der Spielplätze zu sorgen. Offensichtlich wirken diese Maßnahmen. Denn, so Annette Kuhlig, die Unfälle, die in Kitas passieren, sind häufig nicht schwerwiegend. Die Eltern gehen zwar nach einem Unfall häufig zum Arzt und lassen die Verletzung sicherheitshalber abchecken, daher tauchen auch die leichten Unfälle in der Unfallstatistik auf. Aber in der Regel verheilen die Verletzungen schnell wieder. 

Der Spielplatz ist ein Ort zum Ausprobieren

Fällt doch mal ein Kind vom Klettergerüst, ist das „auch eine Erfahrung, die ein Kind durchaus mal machen kann“, findet Annette Kuhlig. „So ein Spielplatz bietet dafür die Gelegenheit. Denn die Rahmenbedingungen sind vom Gesetz her so, dass eben keine schweren Unfälle passieren können. Kinder sollen sich auf einem Spielplatz unbedingt ausprobieren und eben auch mal fallen können“, betont Annette Kuhlig. Genau deshalb liegt unter den Geräten beispielsweise Fallschutz (weicher Sand oder gummierte Fallschutzmatten), große Spielgeräte sind mit so genannten Einstiegshürden ausgestattet, damit die Kleinen gar nicht erst selbstständig hochkommen und die Spielgeräte sind rund herum mit Sicherheitsabständen versehen. 

Unter Klettergeräten ist Fallschutz (hier Sand) vorgeschrieben, damit Kinder verhältnismäßig weich landen, falls sie herunterfallen. Foto: Spielplatz Katharinenstraße in Dinslaken / ©spielplatztreff.de

Keine hundertprozentige Sicherheit

Es gibt eben keine hundertprozentige Sicherheit. Wenn man das wollte, dann würde man wirklich jede Entwicklung des Kindes verhindern.

Annette Kuhlig, Unfallkasse Berlin

Auch in den DIN-Normen für Spielplätze steht sinngemäß drin, dass das Spiel auf dem Spielplatz unbedingt Risiko braucht. Nur dann können Kinder optimal gefördert werden. Annette Kuhlig findet das richtig und wichtig. Denn Kinder müssen lernen, Risiken abzuschätzen und mit ihnen umzugehen. Spielplätze sollten also nicht nur sicher sein, sondern auch einen hohen Spielwert haben, damit Kinder ihre motorischen und die koordinativen Fähigkeiten beim Spielen trainieren können. „Ich sage immer so viel Sicherheit wie nötig, aber nicht wie möglich. Also die Kinder nicht in Watte packen. Es gibt eben keine hundertprozentige Sicherheit. Wenn man das wollte, dann würde man wirklich jede Entwicklung des Kindes verhindern. Und das geht eben nicht. Und das muss man sowohl den Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch den Eltern sagen, dass es ganz wichtig ist, dass man kalkulierbare Risiken eingeht.“, davon ist Annette Kuhlig überzeugt.

Eltern sollten ihr Kind machen lassen

Vielfach wollen Eltern ihre Kinder zurückhalten, weil sie sie vor Schaden bewahren wollen. Aber sie tun damit dem Kind keinen Gefallen.

Annette Kuhlig, Unfallkasse Berlin

Ein zu hoher Grad an Sicherheit verhindert Entwicklungschancen, bedauert die Unfallexpertin und richtet ihren Appell insbesondere auch an uns Eltern. Sätze, die oft auf dem Spielplatz zu hören sind, wie „Fass mich lieber an.“ oder „Nein, kletter‘ da nicht rauf.“ oder „Renn‘ nicht so schnell!“ hört Annette Kuhlig gar nicht gerne: „Vielfach wollen Eltern ihre Kinder zurückhalten, weil sie sie vor Schaden bewahren wollen. Aber sie tun damit dem Kind keinen Gefallen.“ Annette Kuhlig weiß, dass die Gratwanderung für Eltern manchmal sehr schwer ist, abzuwägen zwischen dem Wunsch, das Kind vor allen Gefahren bewahren wollen, auf der einen Seite. Und der Notwendigkeit dem Kind den nötigen Freiraum zu ermöglichen, um ganz wichtige eigene Erfahrungen zu machen, auf der anderen Seite.


DEIN KIND KANN ALLEINE KLETTERN
Hebst du dein Kind manchmal auf’s Klettergerüst? Überredest du es, höher zu klettern, obwohl es eigentlich umkehren will? Oder bremst du es eher aus: „Nicht so hoch!“ Hier erfährst du, warum du damit aufhören solltest.


Doch diese Gratwanderung ist wichtig. „Wenn Eltern ihre Kinder ausbremsen, verhindern sie, dass diese eigenständig erfahren, was sie schon können und was noch nicht“, sagt Annette Kuhlig. Jedes Kind hat seinen individuellen Entwicklungsstand und das eigene Entwicklungstempo. Und jedes Kind ist anders, wenn es darum geht, ein Spielgerät zu erkunden. Eltern sollten „einfach das Kind machen lassen“, positiven Zuspruch geben und ihre Kinder darin bestärken, wenn sie etwas geschafft haben. Das hält Annette Kuhlig für die geeignetere Strategie. 

Kinder brauchen altersgerechte Spielgeräte

Außerdem weist Annette Kuhlig darauf hin, dass die Spielgeräte zu den Kindern passen sollten, um Spielplatz-Unfälle zu vermeiden und die Kinder optimal zu fördern – ohne Über- und Unterforderung. Kinder haben auf Grund ihrer Entwicklung unterschiedliche Fähigkeiten.  Je jünger Kinder sind, umso weniger sind sie in der Lage Gefahren zu erkennen. Und natürlich sind sie auch insgesamt motorisch noch nicht so weit von ihren Fähigkeiten her. Deswegen sind für jüngere Kinder Spielgeräte mit niedrigen Höhen geeignet, die sie selbstständig bewältigen können. Je älter Kinder sind, umso mehr Herausforderungen brauchen sie, umso mehr Möglichkeiten, sich körperlich zu testen und eben auch gewisse Risiken einzugehen. Dafür braucht es natürlich andere – häufig auch höhere – Spielgeräte.


WARUM IST DIE UNTERSTE SPROSSE BEIM KLETTERGERÄT SO HOCH?!
Hast du dich auch schon mal darüber geärgert, dass dein Kind es nicht alleine auf’s Klettergerät schafft, weil die kurzen Beinchen nicht auf die unterste Leitersprosse kommen? Hier erfährst du, warum das so gewollt ist.


Versteckte Gefahren auf dem Spielplatz erkennen

„Versteckte Gefahren“ sind Gefahren, die Kinder auf Grund der fehlenden Erfahrung nicht selbst einschätzen können. Für Eltern gilt es, diese Gefahren zu erkennen, um Spielplatz-Unfälle zu vermeiden:

  • Unbedingt Fahrradhelm ab auf dem Spielplatz! Denn dieser vergrößert die Maße des Kopfes und so besteht die Gefahr, dass das Kind mit dem Helm z. B. im Kletternetz hängenbleibt.
  • Achtet auf bequeme Kleidung und trittsichere Schuhe auf dem Spielplatz für maximale Bewegungsfreiheit und sicheren Halt. Außerdem kein Schmuck, keine Ketten oder lange Ohrringe. 
  • Kinder sollten während des Spielens nicht essen, auch keine Kaugummis oder Bonbons kauen. Erstickungsgefahr! Legt lieber Spiel-  und Snackpausen ein. Dann können die Kinder verschnaufen und neue Kräfte sammeln.
  • An heißen Sommertagen unbedingt die Spielgeräte checken. Gerade Metallgeräte (z.B. Rutschen) können sich in der Sonne extrem aufheizen. Verbrennungsgefahr!
  • Ja jünger das Kind, umso übersichtlicher sollte ein Spielplatz sein. Damit man es nicht aus den Augen verliert und bei Gefahr schnell eingreifen kann. Bei Spielplätzen in Straßennähe und auf Wasserspielplätzen ist besondere Aufmerksamkeit geboten. 
  • Es ist ratsam, den Spielplatz vorher auf defekte Spielgeräte, morsches Holz, Glasscherben, etc. zu überprüfen. Ist der Spielplatz in keinem guten Zustand, besser den Spielplatz wechseln. Und bitte Mängel weitergeben, damit schnell gehandelt werden kann – die Telefonnummer steht auf dem Spielplatz-Schild. 

FAHRRADHELM AB AUF DEM SPIELPLATZ!
Geht es mit dem Fahrrad zum Spielplatz? Dann achte unbedingt darauf, dass dein Kind vor dem Spielen den Fahrradhelm absetzt. Hier erfährst du, warum das so wichtig ist.


Bewegung gehört in den Alltag

Es ist wichtig, dass die Eltern auch die Aktivität vorleben, dass sie selber aktiv sind und das Kind sozusagen mitnehmen in diesen bewegten Alltag.

Annette Kuhlig, Unfallkasse Berlin

Die beste Prävention, um den nächsten Spielplatz-Unfall zu vermeiden, ist viel Bewegung im Alltag, davon ist Annette Kuhlig überzeugt. Das bedeutet: Möglichst wenig das Auto benutzen, zur Kita, zur Schule laufen, mit dem Fahrrad fahren oder mit dem Roller. Im Alltag Ausflüge machen, Kinder mit anderen Kindern spielen lassen, auch auf dem Spielplatz – auf Spielplatztreff findest du den passenden Spielplatz in deiner Nähe – und vielleicht gemeinsam eine Sportart / einen Sportverein aussuchen, damit sich das Kind in der Freizeit noch regelmäßiger bewegt. „Es ist wichtig, dass die Eltern auch die Aktivität vorleben, dass sie selber aktiv sind und das Kind sozusagen mitnehmen in diesen bewegten Alltag.“, nimmt Annette Kuhlig uns Eltern in die Pflicht.

Herzlichen Dank an Annette Kuhlig für die vielen spannenden Erkenntnisse. Wir halten fest: Ziel ist es NICHT, jeden Spielplatz-Unfall zu vermeiden, sondern nur die schweren Unfälle. Dafür gilt es allerlei Sicherheitsvorschriften zu beachten. Und der ganz klare Auftrag an uns Eltern lautet: Sorgen wir dafür, dass sich unsere Kinder regelmäßig (draußen) bewegen und selbstständig ausprobieren können. Wie gut kriegt ihr das schon hin? 

Titel-Foto: Der Spielplatz Am Striemelsberg in Waltershausen bietet Kindern viel Spielraum für Erfahrungsmöglichkeiten, wenn Eltern ihre Kinder lassen. Foto: ©FranziskaR / spielplatztreff.de