Ist der Untergrund zu sandig, der Bordstein zu hoch, der Asphalt mit Schlaglöchern versehen, die Rutsche nur über Treppenstufen erreichbar, dann wird es schwierig für Christine. Auch, weil sie auf Hilfe anderer Spielplatz-Eltern angewiesen ist.

Christine, du bist mit deinem Sohn oft auf dem Spielplatz. Wie ist das für dich?

Ich finde Spielplätze cool und es macht mir großen Spaß mit meinem Sohn dort zu sein. Trotzdem gibt es immer wieder Momente, die mich traurig stimmen oder in denen ich mich ärgere. Ich habe gemerkt, als Mutter bin ich auf eine gewisse Art sehr verletzlich. Gerade am Anfang war es für mich daher gar nicht so leicht, als Mama im Rollstuhl in der Spielplatz-Welt anzukommen.

Christine Burger (39) lebt gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem fast 3-jährigen Sohn in Stuttgart. Als großer Spielplatz-Fan ist sie fast täglich auf Spielplätzen unterwegs und meistert dabei so manche Hürde. Denn Christine sitzt im Rollstuhl seitdem sie mit 15 Jahren einen schweren Autounfall hatte. Sie wächst mit ihren vier Schwestern in einem Vorort von Johannesburg, Südafrika, auf. Als 19-Jährige konsultiert sie Ärzte in Deutschland und lernt dabei ihren heutigen Ehemann kennen. Erst nach ihrem Master in Philosophie in Johannesburg heiraten beide und Christine zieht nach Deutschland. 

Foto: Christine mit ihrem Sohn auf dem Schoß. ©privat

Was genau war schwierig?

Als mein Sohn etwa ein Jahr alt war, habe ich ihn in einem Tragetuch auf meinen Schoß gebunden und bin mit meinen starken Armen (lacht) diesen steilen Berg zum nahgelegenen Spielplatz hochgefahren. Stuttgart ist sehr hügelig, musst du wissen. Egal in welcher Richtung du unterwegs bist, es geht immer bergauf oder bergab. Als ich dort ankam, ist niemand gekommen, um mir das Tor aufzumachen. Vom Rollstuhl aus war das nur schwer alleine zu schaffen. Niemand hat mir Hilfe angeboten. Niemand hat gesagt: „Soll ich deinen Sohn in den Sandkasten heben?“ Ich hatte den Eindruck, die anderen Mütter waren wie taub.

Was kostet es diese Leute, die Hand auszustrecken, ein positives Signal zu senden und solidarisch mit mir zu sein?

Christine

Mich hat das damals nicht nur traurig gemacht, sondern auch verwundert. Ich dachte mir, die Frauen auf dem Spielplatz mit ihren kleinen Kindern waren doch sicherlich alle schon mal in einer Situation, in der sie sich unsicher und hilflos gefühlt haben. Und ich habe mich gefragt: Was kostet es diese Leute, die Hand auszustrecken, ein positives Signal zu senden und solidarisch mit mir zu sein?

Meinst du, das ist ein spezielles Spielplatz-Phänomen?

Generell ist mir auf Spielplätzen so sehr wie nirgendwo sonst aufgefallen: Entweder, die Leute schauen mich an, weil ich als Mutter im Rollstuhl sitze. Oder sie schauen weg, weil eine Mutter im Rollstuhl für sie fremd ist und sie nicht wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Mittlerweile habe ich allerdings inzwischen gelernt, aktiv um Hilfe zu bitten. Und ich versuche Spielplätze zu meiden, auf denen ich eine unschöne Atmosphäre spüre oder ich besuche diese eher gemeinsam mit Freunden. 

Welche Reaktionen wünscht du dir von anderen Spielplatz-Eltern?

Daher bitte ich: Seid offener gegenüber anderen im Rollstuhl!

Christine

Es wäre nett, wenn andere Eltern einfach ihre Hilfe anbieten und fragen würden: „Will dein Sohn schaukeln?“ Oder wenn sie hören, dass er schaukeln möchte, könnten sie einfach sagen: „Soll ich ihn mit zur Schaukel nehmen?“ Sie müssen nicht warten, bis ich frage. Es sind oft die kleinen Dinge, mit denen sie mich oder andere Eltern im Rollstuhl uns unterstützen könnten. Daher bitte ich: Seid offener gegenüber anderen Menschen im Rollstuhl! 

Auf dem Spielplatz Marienplatz beispielsweise bin ich sehr gerne – obwohl der klein ist und nicht gerade barrierefrei. Dort sind die Leute immer hilfsbereit. Das war vor allem zu Beginn meiner Spielplatzzeit sehr auffällig. Zumal nur einen Kilometer entfernt davon die zwischenmenschliche Stimmung schon wieder eine ganz andere ist.  

Ich kenne das von mir selbst… manchmal ist es vielleicht die Unsicherheit, die einen zögern lässt?

Ich weiß, dass manche Leute unsicher sind, ob sie Hilfe anbieten sollen. Sie wissen oft nicht, wie der Rollstuhl funktioniert. Oder sie haben Sorge, ich könnte mich gedrängelt oder verletzt fühlen. Ja, vielleicht. Aber ich antworte darauf: „Was hast du zu verlieren? Vielleicht hilft mir dein Angebot?“ Deshalb lohnt es sich, auf mich oder andere zuzugehen, die Hilfe brauchen. Auch dann, wenn man sich nicht sicher ist.

Kinder sind da übrigens sehr viel unbefangener. Sie fragen mich oft auf dem Spielplatz: Wieso bist du im Rollstuhl? Wieso kannst du nicht laufen? Sie haben so eine Ehrlichkeit und das ist super. Oft schämen sich dann deren Eltern und flüstern ihren Kindern zu: „Du sollst das nicht fragen!“ Aber das müssen sie gar nicht. Eltern sollen ihre Kinder lassen. Ich kenne niemanden im Rollstuhl, den es stört, wenn Kinder fragen. Aber es gibt auch Eltern, die offen auf mich zukommen und sagen: „Ist das in Ordnung, wenn mein Kind dich das fragt?“ Das finde ich gut.

Tun Städte, deiner Ansicht nach, zu wenig für barrierefreie Spielplätze?

Mit kleinen Änderungen wäre schon viel getan. Und man kann dadurch viel mehr Menschen helfen, nicht nur mir im Rollstuhl.

Christine

Ich stoße wirklich regelmäßig und, meiner Meinung nach, auf zu viele Barrieren. Es wäre natürlich schön, wenn das anders wäre. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass die Städte ein wenig Angst davor haben, mehr Spielplätze barrierefrei zu gestalten. Weil es teuer ist, alles barrierefrei umzubauen, machen sie lieber gar nichts. Ich bin mir natürlich bewusst, dass es für mich als Mutter im Rollstuhl anders ist, als für Kinder im Rollstuhl. Trotzdem wäre mit kleinen Änderungen schon viel getan. Und man kann dadurch viel mehr Menschen helfen, nicht nur mir im Rollstuhl. Mütter mit Kinderwägen oder ältere Menschen freuen sich schließlich auch über barrierefreie Eingänge. 

Kaum zu glauben, aber barrierefreie Spielplatz-Zugänge sind längst keine Selbstverständlichkeit

Nein, leider nicht. In Degerloch gibt es beispielsweise einen super Spielplatz in der Königsträßle, aber ich komme nicht alleine durch den oberen Eingang. Denn direkt vor dem Eingang ist der Bordstein für meinen Rollstuhl zu hoch. Ich muss also immer Leute um Hilfe fragen, damit ich den Spielplatz überhaupt besuchen kann.

Bordstein Barriere am Spielplatz
Auf den Spielplatz Königsträßle in Stuttgart Degerloch kommt Christine nur mit Hilfe von anderen Menschen, da der Bordstein am Eingang nicht abgesenkt, ist. Foto: privat

Viel weiter unten befindet sich zwar ein weiterer Eingang, den ich alleine überwinden könnte. Aber der Spielplatz ist groß und der untere Bereich ist eher für ältere Kinder ausgelegt. Es ist mühsam, von unten mit dem Rollstuhl ganz hochzufahren, nur um zu den Schaukeln zu gelangen.

Ein zweites Beispiel betrifft eher das Thema der Instandhaltung – für mich jedoch genauso wichtig. Beim Spielplatz Immenhofer Straße / Zellerstraße in Stuttgart geht es bis zum Eingangstor steil runter. Und direkt vor dem Eingangstor ist ein großer Riss im Asphalt. Wenn ich das Tor aufhalten und gleichzeitig über den Riss fahren muss, ist das für mich und meinen Sohn auf dem Schoß gefährlich. Aber die Menschen hier sind immer sehr nett und ich fühle mich wohl auf dem Spielplatz, sobald ich die Hürde genommen habe.

Barriere am Spielplatz-Eingang
Direkt vor dem Eingangstor zum Spielplatz Immenhofer Straße / Zellerstraße ist der Asphalt so kaputt, so dass Christine fürchten muss, mit ihrem Rollstuhl umzukippen, sobald sie versucht, das Spielplatztor zu öffnen. Foto: privat

Welchen Barrieren begegnest du auf dem Spielplatz?

Hier sind es leider auch oft viele Kleinigkeiten, die den Spielplatz-Besuch bzw. unser gemeinsames Spiel erschweren. Probleme habe ich häufig mit den Sandböden. Wenn diese längere Zeit nicht bearbeitet wurden, bleibe ich mit meinem Rollstuhl stecken. Ich muss dann schauen, wer mir helfen kann. 

Im sandigen Untergrund auf dem Spielplatz am Markusplatz ist Christine schon des Öfteren steckengeblieben. Foto: privat

Für mich ist wichtig: Solange mein Kind von mir abhängig ist, muss ich mit dem Rollstuhl möglichst nahe an die Spielgeräte herankommen. Damit ich an der Seite vom Sandkasten sitzen oder meinem Sohn auf die Schaukel helfen kann. Doch häufig sind die Wege zwischen den Spielgeräten mit meinem Rollstuhl wegen des Untergrunds nicht befahrbar. Auf vielen Spielplätzen hängen die Schaukeln außerdem für mich zu hoch. Oder sie sind so aufgestellt, dass ich nicht gut mit dem Rollstuhl herankomme, wie auf dem Spielplatz am Markusplatz oder auf dem Spielplatz Immenhofer Straße / Zellerstraße. So kann ich meinem Sohn vom Rollstuhl aus nicht auf die Schaukel helfen. Das finde ich besonders schade, denn er liebt es zu schaukeln!

Spielplatz Schaukel
Gut, dass Christines Mann ab und zu übernehmen und die Schaukel anschubsen kann, wie hier auf dem Spielplatz Markusplatz. Foto: privat

Auf dem Spielplatz Marienplatz oder Spielplatz Königsträßle in Degerloch ist es beispielsweise besser gelöst. Da kann ich meinem Sohn hoch helfen und ihm Schwung geben.

Spielplatzschaukel
Die Schaukeln auf dem Spielplatz Königssträßle hängen zwar hoch, aber der Untergrund mit den Holzhackschnitzeln lässt sich gut befahren, so dass sie ihrem Sohn raufhelfen kann. Foto: privat

Eine einzige tieferhängende Schaukel würde schon helfen …

Genau. Man muss nicht alle Schaukeln niedrig hängen. Es reicht, wenn es eine gibt, an die ich rankomme. Genauso ist es bei Rutschen. Auf vielen Spielplätzen gibt es zwei Rutschen – eine kleine und eine große. Natürlich müssen sie nicht die große Rutsche für mich zugänglich machen. Denn wenn mein Kind soweit ist, dass es auf der großen Rutsche rutschen kann, kann er das alleine machen. Dann muss ich nicht mehr überall hinkommen. Aber solange er noch klein ist, möchte ich nicht, dass ihn andauernd fremde Personen unterstützen müssen. Auch wenn sich mein Sohn schon früh daran gewöhnt hat, dass ihm fremde Leute helfen. Er nimmt das auch an.

Kleinkindrutsche
Bis zur Rutsche auf dem Spielplatz Marienplatz kann Christine ihren Sohn nicht begleiten, da diese nur über Stufen erreichbar ist. Foto: privat

Informierst du deine Stadt über solche Schwierigkeiten?

Ich wollte nicht in diese Rollstuhlschublade. Ich fand, die passt nicht zu mir. Aber ich merke, das verändert sich gerade ein wenig.

Christine

Nein, bisher nicht. Als ich damals im Teenager-Alter den Rollstuhl bekam, habe ich entschieden: ich bin keine Kämpferin für die Rechte von Rollstuhlfahrern. Das ist nicht mein Kampf. Wenn du dich dafür entscheidest, wirst du gleich in eine Schublade gesteckt. Ich glaube, wie für alles. Ich wollte nicht in diese Rollstuhlschublade. Ich fand, die passt nicht zu mir. Aber ich merke, das verändert sich gerade ein wenig.

Du meinst, deine persönliche Sicht auf die Dinge ändert sich? 

Mein Unfall ist 27 Jahre her. Damals gab es nur wenige Beispiele von anderen Leuten im Rollstuhl. Mittlerweile hat sich viel getan. An der Uni kann man Disability Studies studieren – sinngemäß Studien zu oder über Behinderung. Und nicht zuletzt durch Social Media sieht man immer mehr junge Menschen, die im Rollstuhl ein ziemlich normales Leben führen. Mein Sohn wird größer und ich kann nun auch einfach mal auf dem Spielplatz sitzen und auf meinem Handy eine Mail schreiben. Vielleicht werde ich also in Zukunft aktiver werden und sagen, wenn auf dem Spielplatz etwas für mich nicht funktioniert.

Haderst du manchmal mit der Situation, dass du „nur“ zuschauen und nicht mitspielen kannst?

Gerade letzte Woche habe ich eine Mutter gesehen, die hat sich ihre Schuhe ausgezogen und gemeinsam mit ihren Kindern im Sandkasten gespielt. Das war schön. Egal auf welchem Spielplatz: Ich schaue meinem Sohn immer von oben zu. Ich kann ihm nicht selbst zeigen, wo der nasse Sand ist, womit man besser einen Sandkuchen backen kann. 

Spielplatz Buddelspaß
Das sind Christines Perspektiven von ihrem Rollstuhl aus. Von weitem oder von oben schaut sie ihrem Sohn beim Spielen zu. Foto: privat

Das macht mich manchmal traurig. Aber ich kann es nicht ändern. Also habe ich schon recht früh entschieden: ich darf solchen Gedanken nicht zu lange nachhängen. Es geht um meinen Sohn, nicht um mich. Das ist mir ganz wichtig. Kinder spüren uns. Und sollte ich in einem solchen Moment enttäuscht sein, dann befürchte ich, kann mein Sohn das spüren. Er soll nicht denken, er sei der Grund für meine Enttäuschung. Deshalb sind diese Gedanken zwar manchmal da, aber auch ganz schnell wieder weg, und ich genieße unsere gemeinsame Zeit auf dem Spielplatz.

Herzlichen Dank, liebe Christine, dass du so offen und ehrlich über deine Erfahrungen gesprochen hast. Jetzt seid ihr dran: Kämpft ihr selbst mit Barrieren auf dem Spielplatz wie Christine? Oder habt ihr Berührungsängste im Umgang mit anderen Eltern oder Kindern mit Handicap? Vielleicht konntet ihr auch schon mal helfen? Teilt gerne eure Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse mit uns. 

Titel-Foto: Auf Christines Lieblingsspielplatz Marienplatz in Stuttgart gelingt das Anschubsen vom Rollstuhl aus. ©privat


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