Anna Mehlmann (32) aus Gummersbach berät ihre Klienten juristisch zum Thema Pflege und Behinderung. In ihrer Freizeit kämpft sie für inklusive Spielplätze in ihrer Heimatstadt und in der Umgebung, auf denen alle Kinder mit und ohne Behinderung spielen können. Warum ihr das so wichtig ist, wie sie dabei vorgeht und was sie bisher erreicht hat? Wir haben mit ihr gesprochen.

Frau Mehlmann, erinnern Sie sich noch an das erste Spielplatz-Erlebnis mit Ihren beiden Töchtern?

Ja, das war während der Corona-Hochphase. In der Zeit waren wir viel zu viert zu Hause. Mein Mann ist Sonderschulpädagoge, die Schulen waren lange geschlossen. Da kam die Frage auf: Wie können wir die anderen Familienmitglieder sehen, ohne einander anzustecken? Und wir dachten, treffen wir uns doch auf einem Spielpatz, dann sind wir alle draußen an der frischen Luft.

Gerade während der Corona Pandemie haben ja viele Familien Spielplätze intensiv genutzt … 

Genau. Doch mir fiel schnell auf, dass meine Mädchen auf dem Spielplatz überhaupt nichts machen konnten. Die anderen Kinder rannten rum. Und meine saßen am Spielplatzrand in ihren Buggys und guckten. Ich muss dazu sagen, meine Töchter haben komplexe Behinderungen. Sie sitzen beide in Rollstuhl-Buggys, sie sprechen nicht, sie können sich nicht alleine aufrecht halten und sie haben Epilepsie. Klar, ich könnte sie zur Rutsche tragen, versuchen, sie mir auf den Schoß zu setzen und mit ihnen zusammen zu rutschen. Das war’s dann aber auch schon. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Wie haben Sie diese Situation auf dem Spielplatz empfunden?

Im ersten Moment dachte ich: Wir haben 2022! Meine Töchter sind doch nicht die einzigen Kinder mit einer Behinderung. Es muss doch irgendwo Spielplätze geben, die die beiden nutzen können. Wir haben immer mal wieder Spielplätze in Gummersbach und Umgebung ausprobiert, aber keinen Spielplatz gefunden, von denen die beiden großartig profitieren würden.

Wir würden Spielplätze deutlich häufiger nutzen, wenn unsere Zwillinge mehr von dem Angebot hätten.

A. Mehlmann

Dabei machen wir als Familie gerne Ausflüge. Wir versuchen ein normales Leben zu führen, so gut es geht. Wir würden Spielplätze deutlich häufiger nutzen, wenn unsere Zwillinge mehr von dem Angebot hätten. Aber irgendwo hinzufahren, wo die Mädchen nur rumsitzen, ist in meinen Augen wenig sinnvoll.

Meinen Sie, das fehlende Spielangebot ist der Grund, warum man so selten Kinder mit Behinderungen auf dem Spielplatz sieht?

Hinzu kommt eine Frage, die sich pflegende Eltern vor allem älterer Kinder stellen: Wie versorge ich mein großes Kind auf dem Spielplatz, das gewickelt werden muss?

A. Mehlmann

Ich kann nicht für andere Eltern sprechen. Aber wenn auf dem Spielplatz nicht ein Spielgerät dabei ist, mit dem mein Kind etwas anfangen kann, und es letztendlich dort genauso rumsitzt wie zu Hause, warum sollte ich dann dort hinfahren? Man darf nicht vergessen, es ist in der Regel deutlich aufwändiger, mit einem behinderten Kind das Haus zu verlassen, als mit einem gesunden Kind. Ich habe im Zweifelsfall einen Monitor dabei, ein Absauggerät, vielleicht ein Beatmungsgerät, irgendwelche Zugänge, die überwacht werden müssen, eine Ernährungspumpe. Ich packe teilweise ein halbes Krankenhaus ein, wenn ich auf den Spielplatz gehe. Dann muss sich der Ausflug auch lohnen.

Hinzu kommt eine Frage, die sich pflegende Eltern vor allem älterer Kinder stellen: Wie versorge ich mein großes Kind auf dem Spielplatz, das gewickelt werden muss? Behinderten WCs gibt es nur selten und für Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen sind normale Behinderten-Toiletten oft ungeeignet. Sie benötigen Toiletten mit abwaschbarer Pflegeliege. Doch wo gibt es diese Toiletten für alle in Spielplatznähe? Meiner Meinung nach, eine wichtige Info, die auf jedes Spielplatz-Schild gehört.


Wenn ihr besser verstehen wollt, warum eine „Toilette für alle“ in Spielplatz-Nähe so wichtig ist, schaut euch dieses kurze Video Klo für Inklusion (2:35 min) von TVIngolstadt an.


Wow! Ganz schön viele Themen, mit denen Spielplatz-Eltern gesunder Kinder gar nicht in Berührung kommen … Spüren Sie auch deshalb vielleicht manchmal Berührungsängste auf dem Spielplatz?

Ja, ich kenne so etwas. Natürlich gucken die Leute. Hätte ich vielleicht auch gemacht, weiß ich nicht. Oder sie gucken gezielt weg. Es gibt ein interessiertes Gucken und es gibt ein blödes Gucken. Ich kann das gut differenzieren und gehe, ehrlich gesagt, relativ offen damit um. Ich habe auch schon zu jemandem gesagt: „Haben Sie Fragen, weil Sie so gucken?“ Vielleicht bin ich teilweise etwas zu offensiv? Aber ich komme aus Köln. Manchmal habe ich eine recht große Klappe und ich bin nicht der Typ, der sagt: Wir verstecken uns jetzt zu Hause, weil die beiden angeguckt werden könnten. Das mache ich nicht. Klar es gibt Tage, da komme ich damit gut zurecht, dann gibt es Tage, an denen ich vielleicht traurig bin. Aber das ist halt mein Leben. Da muss ich durch. Erfrischend finde ich, wie Kinder damit umgehen. Die kommen einfach direkt auf einen zu und fragen: „Was hat die?“ Und dann erkläre ich, wie es ist: „Der Kopf kann nicht entscheiden, was der Körper macht.“ Das ist dann für die Kinder in Ordnung.

Sie haben mir erzählt, auf einem barrierefreien Spielplatz in Hamburg hatten Ihre Töchter richtig viel Spaß… 

Das war wirklich toll! Anfang des Jahres waren wir mit der Familie in der Kurzzeitpflege Hände für Kinder e. V. – Kupferhof in Hamburg. Auf dem barrierefreien Spielplatz, der zu dieser Einrichtung gehörte, gab es ein Rollstuhl-Trampolin. Da kann man mit dem Rollstuhl ebenerdig drauf fahren. Meine Töchter hatten richtig viel Spaß. Ich habe meine Kinder selten so laut lachen hören wie auf diesem Rollstuhl-Trampolin. Das war ein wunderschöner Moment.

Toll waren auch die unterfahrbaren Matschtische. Da kann man mit dem Rollstuhl oder mit Reha-Buggy direkt ranfahren und mit den Händen rummatschen. Die Wegeführung war ebenfalls barrierefrei. Das Angebot war sehr durchdacht und ich dachte mir, wenn wir so was in der Nähe hätten, dann würde man sich das eher überlegen. Auch weil wir eben viel Familie haben mit vielen Kindern. Der Spielplatz ist ja eigentlich auch ein schöner Ort, um sich mit allen zu treffen. Das, was andere Mütter eben auch machen.

Deshalb kämpfen Sie nun für inklusive Spielplätze in Ihrer Heimatstadt Gummersbach und Umgebung. Wie machen Sie das?

Mein Vorteil ist: Politiker können das Thema nicht wegignorieren. Sie können nicht sagen, das ist nicht wichtig. Wenn man das Thema anspricht, dann muss auch eine Reaktion erfolgen.

A. Mehlmann

Ich habe einfach angefangen mit Leuten aus der Nachbarschaft zu sprechen, die ich kannte und von denen ich wusste, die engagieren sich in der Politik. Ich habe nachgefragt, ob sie sich auch für Spielplätze stark machen, auf denen Kinder mit Behinderungen spielen können. Häufig kam die Antwort: „Darüber haben wir tatsächlich noch nie nachgedacht. Aber gut, dass du das ansprichst. Das ist was für die nächste Stadtratssitzung.“ Später habe ich angefangen, auch Politiker anzuschreiben, die ich nicht kannte, und sie gebeten, sich zu dem Thema inklusive Spielplätze Gedanken zu machen. Mein Vorteil ist: Politiker können das Thema nicht wegignorieren. Sie können nicht sagen, das ist nicht wichtig. Wenn man das Thema anspricht, dann muss auch eine Reaktion erfolgen.

Hat die Politik bisher zu wenig darüber nachgedacht, wie Spielplätze für Kinder mit Behinderung gestaltet sein müssten? 

Ich bin die Letzte, die sagt, reißt alle Spielplätze ab und baut sie neu. Das ist unrealistisch und auch Quatsch. Aber ich möchte ein Umdenken in den Köpfen erreichen.

A. Mehlmann

Ich denke, ja. Offensichtlich sind in der Politik oder Stadtverwaltung zu wenige Menschen selbst betroffen. Deshalb ist es mir auch so wichtig, durch meine Gespräche mit den Verantwortlichen das Thema inklusive Spielplätze stärker ins Bewusstsein zu rücken. Ich bin die Letzte, die sagt, reißt alle Spielplätze ab und baut sie neu. Das ist unrealistisch und auch Quatsch. Aber ich möchte ein Umdenken in den Köpfen erreichen. Ich möchte, dass bei Umbaumaßnahmen oder Spielplatz-Neuplanungen oder wenn einfach nur ein Gerät ersetzt wird, immer auch die Frage gestellt wird: „Was können wir für Kinder anbieten, die eine Behinderung haben? Wie lässt sich das neue Spielgerät vielleicht inklusiver gestalten?“ Damit eben alle Kinder auf dem Spielplatz Spaß haben – ob mit oder ohne Behinderung.

Sie haben mir erzählt, Ihr Engagement zeigt bereits erste Erfolge. Welche sind das?

Ganz besonders gefreut habe ich mich über den Besuch des Bürgermeisters unserer Nachbarstadt Bergneustadt Matthias Thul. Er hat sich Zeit genommen, meine Kinder kennengelernt, mir die Pläne für einen neuen Spielplatz gezeigt, der dort gerade geplant wird. Und er hat mich nach meiner Meinung und meinen Ideen dazu gefragt. Das fand ich richtig bürgernah und schön. Ich bin gespannt, was dort entsteht und würde mich freuen, wenn ich den dann mit meinen Töchtern nutzen könnte. Der Spielplatz wäre nicht so weit weg von uns.

Ich finde es wichtig, mit dem Thema inklusive Spielplätze anzufangen und immer wieder gemeinsam zu überlegen, wen erreiche ich wie noch besser.

A. Mehlmann

Die Stadt Bergneustadt plant nicht nur den ersten inklusiven Spielplatz vor Ort. Sie hat auch alle Spielplätze in Bergneustadt auf Spielplatztreff eingetragen. So macht die Spielplatz-Suche Spaß!


Auch in Gummersbach geht es voran. Dort habe ich demnächst ein Treffen mit Vertretern aus dem Gummersbacher Stadtrat, die sich mit mir über Ideen für inklusive Spielplätze unterhalten möchten. Zum Beispiel über so genannte Kommunikationstafeln für den Spielplatz vom Autismusverlag – die habe ich selbst erst vor kurzem kennengelernt. Das sind wetterfeste Tafeln mit Symbolen, über die sich nonverbale Kinder mitteilen können. 

Kommunikationstafel für den Spielplatz
Mithilfe von abgebildeten Symbolen können Gespräche initiiert, Wünsche ausgedrückt, Ereignisse kommentiert und Fragen gestellt werden. Dadurch wird die Kommunikation für alle möglich – auch für Menschen ohne Lautsprache oder mit nur geringen Sprachkenntnissen. © Autismusverlag/METACOM Symbole: Annette Kitzinger

Solche Beispiele zeigen: Inklusion auf dem Spielplatz muss nicht immer wahnsinnig teuer sein. Oft helfen kleine Änderungen schon vielen weiter. Ich finde es wichtig, mit dem Thema inklusive Spielplätze anzufangen und immer wieder gemeinsam zu überlegen, wen erreiche ich wie noch besser. Es geht um den Perspektivwechsel, die Horizonterweiterung. Da können wir alle noch viel lernen. Ich auch. Und ich freu mich drauf!


Anna Mehlmann (32) ist Rechtsanwältin mit Leib und Seele. Mit ihrer Kanzlei SPECIAL NEEDS berät sie – als eine der wenigen Juristen in Deutschland – rund um die Themen Pflege und Behinderungen. Als Mutter von Zwillingsmädchen mit schwersten Mehrfachbehinderungen weiß sie aus eigener Erfahrung, wie hart der Kampf für Dinge ist, die eigentlich selbstverständlich sein sollten und wie sehr der bürokratische Aufwand den Alltag unnötig erschwert. Auch auf Instagram ist Anna Mehlmann aktiv.


Titel-Foto: Anna Mehlmann kämpft in ihrer Freizeit für inklusive Spielplätze von denen endlich auch ihre Töchter profitieren würden. ©privat