Neulich empörten sich einige Mütter über einen mit Brennnesseln überwucherten Grünstreifen auf dem Spielplatz: “Das ist doch viel zu gefährlich für die Kinder!Tatsächlich? Wie ist das eigentlich mit gefährlichen Pflanzen auf Spielplätzen? Gibt es Vorschriften? Wir haben bei Berthold Tempel, Spielplatz-Sicherheitsexperte vom TÜV Rheinland, nachgefragt.

Herr Tempel Sie sind Vorsitzender des DIN Ausschusses für Kinderspielplätze und Spielplatzprüfung und kennen sich mit dem Thema Spielplatz-Sicherheit aus. Sind Brennnesseln auf dem Spielplatz okay?

Berthold Tempel

Tempel: Bevor ich gleich zu den Brennnesseln komme, lassen Sie mich etwas Grundsätzliches zur Gefahreneinschätzung auf Spielplätzen sagen: Wir können und wollen keine heile Welt auf dem Spielplatz schaffen. Gewisse Risiken des täglichen Lebens müssen und werden auch auf einem Spielplatz anzutreffen sein. Das ist wichtig, um Kinder auch an gewisse überschaubare Gefahren heranzuführen, damit diese in einer kontrollierten Umgebung etwas über Gefahren und ihre Folgen lernen.

Sie unterscheiden also zwischen unterschiedlichen Gefahrenpotenzialen?

Grundsätzlich gilt: Offensichtliche Gefahren, die von Kindern erkennbar sind, sollte man auf einem Spielplatz durchaus zulassen, sofern das Risiko überschaubar ist. Dazu gehört natürlich auch, dass ein Kind durchaus einmal stürzt und sich einen blauen Fleck oder schlimmstenfalls sogar einen Knochenbruch holt. Gefahren jedoch, die ein Kind von sich aus nicht erkennen kann und die dann auch Gefahr für Leib und Leben beinhalten, wie zum Beispiel faule Holzbalken, verschlissene Bauteile, Fangstellen etc., sind keinesfalls akzeptabel. Folgen wie, ein ausgestoßenes Auge, ein abgerissener Finger, der Verlust von Beweglichkeit oder sogar der Verlust des Lebens sind natürlich auszuschließen. Daher versuchen wir beim TÜV Rheinland mit Hilfe der europäischen Spielplatznorm Rahmenbedingungen zu schaffen, die derartige Gefahren von vornherein ausschließen.

Brennnesseln auf dem Spielplatz sind also in Ordnung?

Ja. Eine Brennnessel ist eine akzeptable Gefahr des täglichen Lebens und eine Möglichkeit für Kinder eine wichtige Erfahrung zu machen. Wenn Kinder mit Brennnesseln in Berührung kommen, werden sie ganz schnell merken, dass die Pflanze starken Juckreiz auslöst und unangenehme Hautreaktionen hervorrufen kann. Genauso ist das übrigens auch mit Dornen, die ja auch oft verteufelt werden. Dabei wird jedes Kind zumindest beim zweiten Dornenkontakt in der Lage sein, zu erkennen, dass Dornen pieksen und man sich daran verletzen kann. Das tut weh, ist schmerzhaft, aber das ist letztendlich eine Erfahrung die jeder einmal gemacht hat und auch gemacht haben sollte. Allerdings sollten Dornenhecken nicht in Laufbereichen in Sturzbereichen wachsen, damit Kinder nicht Gefahr laufen, direkt hineinzufallen. Am Rande eines Spielplatzes ist gegen eine Dornenhecke nichts einzuwenden.

Dennoch gibt es gefährliche Pflanzen, die auf einem Spielplatz nichts zu suchen haben …

Tatsächlich gibt es vier Giftpflanzen, die vom Expertenausschuss als zu gefährlich für den Spielplatz eingestuft worden sind. In der Spielplatznorm DIN 18034 „Spielplätze und Freiflächen zum Spielen“ wurde deshalb festgehalten, dass Goldregen, Pfaffenhütchen, Seidelbast und Stechpalme auf Spielplätzen nicht angepflanzt werden dürfen. Das heißt, die Spielplatzbetreiber müssen dafür sorgen, dass diese vier Pflanzen nicht auf Spielplätzen wachsen.

Goldregen

Alle Pflanzenteile des Goldregens sind stark giftig, vor allem die Samen. Vergiftungssymptome: Lang anhaltendes Erbrechen (4 – 24 Stunden). Brennen im Mund- und Rachenraum, Schwindel, Kopfschmerzen und schwere Krämpfe. Bei hoher Dosierung ohne Erbrechen kann es zu einer Atemlähmung kommen. Mehr Infos zu Goldregen unter botanikus.de

Foto: Michael w aus de / wikipedia.org

Pfaffenhütchen

Es sind zwar alle Pflanzenteile giftig, aber vor allem der Verzehr von Samen führt zu Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Dabei kann es zu einer starken Reizung des Magen-Darm-Traktes kommen. Auch Nierenschädigungen, Kreislaufkollaps, Benommenheit und Leberschwellungen gehören zu den Vergiftungssymptomen. Je nach Schweregrad kann es auch tödlich enden. Mehr Infos zum Pfaffenhütchen unter wikipedia.org

Foto: Niels Schulz / natur-lexikon.com

Seidelbast

Beim Seidelbast kann das Gift auch über die Haut aufgenommen werden. Die Vergiftung kann zu schweren Schäden der Niere, des Kreislaufs und des Zentralnervensystems führen. Maximal fünf Beeren erzeugen nur starke Reizungen. Der Verzehr von zehn Beeren kann für Kinder schon tödlich sein. Mehr Infos zu Seidelbast unter wikipedia.org

Foto: J.F. Gaffard, Talmont-Saint-Hilaire / wikipedia.org

Stechpalme

Alle (roten) Beeren und Blätter sind stark giftig. 20 bis 30 rote Beeren gelten für Erwachsene als tödliche Dosis, bei Kindern entsprechend weniger. Vergiftungssymptome: Übelkeit, Erbrechen, Herzrhythmusstörungen, Lähmungen, Nierenschäden, Durchfall, Magenentzündung, Schläfrigkeit. Mehr Infos zur Stechpalme unter ilexgarden.com oder wikepedia.org

Foto: Yvo Meyling / ilexgarden.com

Was macht ausgerechnet diese vier Giftpflanzen so gefährlich? In Mitteleuropa sind lt. Wikipedia alleine etwa 50 Pflanzenfamilien bekannt, deren zahlreiche Arten Giftstoffe enthalten.

Bei Goldregen ging es beispielsweise darum, eine Verwechslungsgefahr auszuschließen. Die giftigen Schoten dieser Pflanze ähneln sehr den Schoten der Zuckererbse. Hier besteht die Gefahr, dass Kinder ahnungslos die giftigen Schoten essen, weil sie zum Beispiel die Oma beim Erbsen pulen gesehen haben und annehmen, Schoten, die so aussehen, seien essbar.

Hinzu kommt, dass bei diesen vier Pflanzen toxische Wirkungen ausgelöst werden, die im Körper nur schwer nachzuweisen sind. Das heißt, wenn ein Kind mit einer Vergiftung in die Klinik gebracht wird, ist es sehr schwer, den Wirkstoff herauszukristallisieren, um zu wissen, welche Gegenmaßnahme eingeleitet werden muss.

Es gibt natürlich eine ganze Reihe weiterer Giftpflanzen, die sich nicht unbedingt eignen, um auf Spielplätzen gepflanzt zu werden. Aber bei den meisten ist es eben so, dass häufig zu hohe Mengen der Pflanzen(teile) gegessen werden müssten, bevor die Pflanze stark toxisch wirkt. Oder die Schutzmechanismen unseres Körpers, wie Austrocknen des Speichelflusses oder Erbrechen, verhindern beim Verzehr giftiger Pflanzen(teile) oft Schlimmeres.

Dennoch, sagen Sie, sollen zweitnah zwei weitere Giftpflanzen verboten werden…

Stimmt, die DIN 18034 wird gerade überarbeitet, Mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit werden zwei weitere Pflanzen demnächst auf Spielplätzen verboten werden. Dabei handelt es sich nicht um heimische, sondern um eingeschleppte Pflanzen.

Herkulesstaude oder Bärenklau

Das gefährliche an der Herkulesstaude ist vor allem der aggressive Saft. In Verbindung mit UV Strahlung kann es zu sehr starken Hautreaktionen mit eiternden Wunden kommen. Mehr Infos zur Herkulesstaude unter wikipedia.org

Foto: wikipedia.org

Ambrosia oder Beifußblättrige Traubenkraut

Die Ambrosia ist über das Vogelfutter bzw. die Meisenknödel nach Deutschland eingeschleppt worden. Die Pollen der Pflanze können ganzjährig starke allergische Reaktionen auslösen und Asthma hervorrufen. Mehr Infos zur Ambrosia unter wikipedia.org

Foto: wikipedia.org

Die Gefährlichkeit dieser beiden Pflanzen hat man übrigens nicht erkannt, weil es vermehrt zu Unfällen auf Spielplätzen kam, sondern weil Mitarbeiter von Kommunen, die die Pflanzen entfernen sollten, über die beschriebenen Symptome klagten. Um das von vornherein bei Kindern auszuschließen, sollen diese Pflanzen nun präventiv auf die Verbotsliste kommen.

Das Thema Giftpflanzen scheint von den Spielplatz-Verantwortlichen ernst genommen zu werden. Eltern müssen sich also keine Sorgen machen?

Eltern können davon ausgehen, dass die Betreiber der Spielplätze im Sinne ihrer Verkehrssicherungspflicht die entsprechenden Giftpflanzen kennen und dafür sorgen, dass diese auch entfernt werden. Unsere Erfahrungen zeigen, es gibt keine besondere Häufigkeit von Unfällen mit Giftpflanzen auf dem Spielplatz. Kinder essen nicht massenhaft Beeren und Blätter von giftigen Pflanzen auf dem Spielplatz und müssen dann mit starken Vergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Deshalb sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Im Umkehrschluss heißt das nämlich, je mehr wir gesetzlich regeln, umso eher ist der Spielplatzbetreiber in der Zwangslage. Er müsste dann regelmäßig seinen Spielplatz auf Pflanzen untersuchen, ob da irgendwas aus dem Boden kommt, was da nicht hingehört. Das können die Spielplatzbetreiber gar nicht bewerkstelligen.

Wo können sich Eltern informieren, wenn Sie noch mehr über das Thema Giftpflanzen erfahren möchten?

Für alle, die sich etwas tiefergehend informieren wollen, ist vielleicht die Infobroschüre „Giftpflanzen. Beschauen, nicht kauen!“ interessant? Hier werden insgesamt 48 Giftpflanzen mit Fotos und näheren Informationen hinsichtlich der Gefahren vorgestellt. Außerdem helfen die Giftnotrufzentralen und Giftinformationszentren in Deutschland konkret bei einem Vergiftungsfall.

Vielen Dank, Herr Tempel, für das interessante Gespräch.

Titel-Foto: Der Grünstreifen dieses Spielplatzes ist überwuchert mit Brennnesseln. Gefährlich oder wichtige Lernerfahrung? © Schilling