Ein Gespräch mit Peter Bechert, Spielplatzverantwortlicher des Servicebetriebes Öffentlicher Raum in Nürnberg, über die Sinnhaftigkeit von Spielplatznormen, über mehr Mut zum Risiko, über Eltern, die ihre Kinder selbst in Gefahr bringen, und über zu krumme Schaukeln.

Herr Bechert, sind sichere Spielplätze langweilig?

Bechert: Wenn ich mich natürlich ganz streng an die Sicherheitsnorm halte, dann kann es schon passieren, dass es langweilig wird. Aber die Sicherheitsnormen sind wichtig, um die versteckten Risiken zu vermeiden. Unsere Aufgabe ist es, mit den Sicherheitsnormen sinnvoll umzugehen und im Rahmen dessen spannende Spielangebote zu schaffen.

Also sind spannende Spielplätze trotz Sicherheitsnormen möglich?

Wenn man die Spielplatz-Norm richtig liest, dann sind es ein paar Dinge, die eingehalten werden müssen, wie genügend Freiräume, keine Fangstellen, kein direkter Zugang zur Straße, keine gefährlichen Einfriedungen etc. – das ist Handwerkszeug, das muss ich beherrschen. Aber das heißt nicht, dass ich deswegen nicht erkennbare Risiken einbauen kann, wodurch das Ganze spannender wird.

Was oft missverstanden wird: Die Spielplatznorm ist nicht dafür da, sämtliches Risiko auszuschließen. Die Norm ist dafür da, Tod oder schwere Verletzungen zu verhindern. Prellungen und sogar gelegentlich gebrochene Gliedmaßen können nicht ausgeschlossen werden. Denn Kinder müssen lernen mit Risiken umzugehen. Deshalb kalkulieren wir bewusst erkennbare Risiken mit ein.

Was sind erkennbare Risiken?

Wenn ich zum Beispiel dem Kind die Möglichkeit einräume, von A nach B zu springen, den Schwierigkeitsgrad aber so ansetze, dass das Kind den Sprung vielleicht auch beim ersten Mal noch nicht schafft. Dann hat das Kind seine Grenzen erkannt. Und falls das Kind diesen Sprung nicht schafft, ist unser Job dafür zu sorgen, dass die Fallräume und die stoßdämpfenden Böden entsprechend der DIN Normen da sind, damit das Kind sich bei diesem Versuch nicht ernsthaft verletzt. Bezüglich der Spielplatz-Normen müssen wir also ein paar wesentliche Dinge beherrschen, aber ansonsten können wir die Spielumgebung so reizvoll gestalten, dass ein Kind sich herausgefordert fühlt: Mensch, das will ich jetzt schaffen.

Hangelanlage
Dieses Mädchen hat so lange probiert bis sie die ganze Hangelstrecke geschafft hat. Foto: Bechert, Stadt Nürnberg

Risiko und Spielen gehören für mich zusammen und wir müssen versuchen, die Risiken den Fähigkeiten der Kinder anzupassen. Das allerwichtigste ist, dass die Kinder ihr persönliches Bild von Gefahren bekommen. Dass sie wissen, bis hier hin und nicht weiter.

Weichen Sie auch mal von der Norm ab, um ein Spielangebot spannender zu machen?

Alles, was umsetzbar ist, machen wir mit. Wir können auch von der Norm abweichen, wenn Sicherheit auf andere Weise gewährleistet wird. Die Norm fordert zum Beispiel rechts und links des Rutschenauslaufes stoßdämpfenden Boden. Ich hatte kürzlich einen Fall, da war eine ganz kurze Rutsche in einen Hügel mit Granitblöcken eingebaut – rechts und links kein stoßdämpfender Boden.

Diese Rutsche von Granitblöcken eingefasst. Foto: Bechert / Stadt Nürnberg

Also eigentlich ein Normverstoß. Bei der Risikoanalyse hat man dann festgestellt, dass der Rutschvorgang so kurz und das Niveau zwischen Rutschenblech und Steinblöcken fast gleich ist, dass hier keine sicherheitstechnischen Probleme auftreten können

Sie erstellen extra Risikoanalysen?

Ja, damit wir trotzdem gewährleisten können, dass unsere Spielgeräte sicher sind, arbeiten wir sehr viel mit solchen Risikoanalysen, die wir in der Regel mit einem Sachverständigen durchführen. Dadurch haben wir die Möglichkeit, bereits in der Planungsphase Risiken abzuschätzen, aber auch in der Bauphase und im Nachhinein lassen sich Risikoanalysen erstellen.

Wir haben zum Beispiel kürzlich Hangel- und Balanciermöglichkeiten auf einem Schulhof direkt vor der großen Pause an einem Klettergerät nachgerüstet und dann in der großen Pause die Schüler beobachtet. An den Stellen, wo es kritisch wurde, haben wir nachgebessert.

Was haben Sie nachgebessert?

Wir haben nachträglich in drei Meter Höhe Verstrebungen eingebaut, auf dem die Kinder sitzen können.

Die Querverstrebungen haben das Gerät attraktiver gemacht. Foto: Bechert / Stadt Nürnberg

Durch unsere Risikoanalyse haben wir festgestellt, dass von einer dieser Verstrebungen, ein unten durchgezogenes Seil nicht den geforderten Fallraum einhält (es ging um 50 cm). Daraufhin haben wir beobachtet und geschaut, wie fällt das Kind, wenn es von den Verstrebungen runterfällt? Und wir haben festgestellt, es fällt unbeabsichtigt, gibt sich also keinen Schwung in irgendeine Richtung, sondern fällt senkrecht nach unten. Diese Feststellung mit entsprechenden Fotos ging zum Sachverständigen, der hat das geprüft und sein Einverständnis gegeben, alles wurde entsprechend dokumentiert und abgelegt.

Auf dem Schulhof bestand die Gefahr, dass sich zu viele Kinder unten im Fallbereich aufhalten könnten, was im normalen Spielbetrieb eigentlich nie der Fall ist. Deshalb ist mit der Schulleitung abgesprochen worden, dass sie Durchsagen machen, in der großen Pause diese Verstrebungen nicht benutzen. Die Schule trägt das voll mit. Zu Beginn gab es auch tatsächlich einige Unfälle. Aber das gehört auch dazu. Und das finde ich eine super Einstellung von der Schulleitung.

Und wenn dann trotzdem was passiert?

Wir sagen, nach menschlichem Ermessen kann da nichts passieren und haben das durch die Risikoanalyse dokumentiert. Wenn dann trotzdem etwas passiert, muss man genau prüfen, wie der Unfall tatsächlich passiert ist. Ich bin jetzt über 30 Jahre dabei. Es gibt keinen einzigen Fall, wo man uns nachgewiesen hat, dass wir vorsätzlich etwas falsch gemacht haben.

Sind Nürnberger Eltern genauso risikofreudig wie Sie?

Im Großen und Ganzen schon, auch wenn es immer wieder einzelne Beschwerden gibt, auf die ich dann reagiere. Ein Beispiel: Durch eine größere Spende konnten wir einen vorher langweiligen Spielplatz mit Rutsche und Wippe aufwerten und eine größere Kletteranlage für unterschiedliche Altersgruppen und mit unterschiedlich schwierigen Aufstiegen (Einstiegsfilter) installieren. Kurze Zeit nach Fertigstellung erhielt ich einen Brief, in welchem mit Klage an die Stadt gedroht wurde, falls – das zweieinhalbjähriges Kind des Briefverfassers von dieser hohen Plattform runterfallen würde – viel zu hoch und viel zu gefährlich sei die.

Die attraktive Spiel- und Kletteranlage ist in den Augen mancher Eltern zu gefährlich, Foto: Bechert / Stadt Nürnberg

Wie gehen Sie mit solchen Beschwerden um?

Ich habe geantwortet, dass im Fall eines Personenschadens die aufsichtspflichtigen Eltern mit Konsequenzen rechnen müssen. Denn wenn Eltern ihre Kinder auf zu hohe Klettergerüste heben, umgehen sie die von uns gesetzten Einstiegsfilter und bringen ihre Kinder selbst in Gefahr. Damit war die Sache erledigt.

Oder ein anderes Beispiel: 1990 wurde auf dem ersten Nürnberger Schulspielhof auf Wunsch der Schulleitung ein so genannter Wippboden – eine überdimensional große Wippe, auf die bestimmt über 50 Kinder passen – eingebaut.

Spielgerät: Großer Wippboden, Foto: Richter Spielgeräte GmbH

Vor ein paar Jahren krieg ich dann plötzlich einen Brief – aus der Schule mit der Mitteilung, dass dieser Wippboden sehr gefährlich sei, es häufen sich Unfälle durch Herunterfallen und Herunterstoßen, vor allem, wenn das Holz feucht ist, ist es zu rutschig. Das Teil muss weg, die Unfallgefahr ist zu groß. Ich habe diese Beschwerde mit der Begründung abgelehnt, wenn sich die Kinder gegenseitig von der Wippe stoßen, dann machen sie das mit Absicht und da mische ich mich nicht ein. Und wenn ein Kind ausrutscht, weil die Oberfläche nass ist, dann hat es was gelernt und sollte daraus Konsequenzen ziehen. Seitdem habe ich nichts mehr gehört.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, um den heißen Brei herum zu reden hilft nicht. Ich muss ganz klar begründen, warum ich an dieser oder jener Stelle ein gewisses Risiko eingehe. Sonst wird’s schnell langweilig auf dem Spielplatz.

Bringen Sie manche Beschwerden besonders auf die Palme?

Nicht nur Beschwerden. Mich ärgert prinzipiell, wenn Leute meinen, Kinder brauchen alles und keine Kompromisse eingehen wollen. Ober wenn unbedingt ein naturnaher Spielplatz im Kindergarten gebaut werden soll, obwohl die Natur direkt hinter dem Gelände anfängt. Oder umgekehrt, wenn auf Wunsch der Kindergartenleitung in einer Ecke Obstgehölze, wie Stachelbeeren oder Himbeeren gepflanzt werden, und aus Elternsicht die Stacheln an den Sträuchern zu gefährlich sind.

Außerdem finde ich Spielgeräte in ausgefallenem Design, aber ohne Spielfunktion, überflüssig. Das ist in erster Linie für Erwachsene, nicht für Kinder. Wenn schon ein ausgefallenes Design oder Thema, dann bitte mit hohem Spielwert und Bezug. Wir haben zum Beispiel für den Spielplatz auf dem so genannten Mammutgelände ein riesiges Mammut bauen lassen, mit Riesenrüssel als Röhrenrutsche und Kletterlabyrinth innen drin, wo die Kinder bis hoch in den Kopf klettern können.

Ein als Mammut gestaltetes Spielgerät als Bezug zum Mammutgelände, Foto: Bechert / Stadt Nürnberg

Vertrauen Eltern zu wenig den Fähigkeiten ihrer Kinder?

Ja. Viele wissen vielleicht tatsächlich nicht, wie gut Kinder in der Lage sind, sich abzusichern. Kinder klettern zum Beispiel immer mit Dreipunktsicherung: zwei Füße, eine Hand – zwei Hände, ein Fuß. Kein Kind stellt sich oben freihändig auf eine Netzstruktur, es wird sich immer festhalten. Das muss man einfach wissen.

Und ein zweiter Punkt ist die fehlende Geduld bei manchen Eltern. Wir haben zum Beispiel einen großen Kletterwald. Um in diesen Kletterwald reinzukommen, müssen die Kinder über einen Meter hoch an einem Baumstamm mit ausgeschnittenen Kerben hochklettern, sonst ist da gar nichts.

Wer in den Kletterwald will, muss erstmal diesen Holzstamm hoch. Foto: Bechert / Stadt Nürnberg

Dieser Einstiegsfilter ist bewusst so gewählt, um jüngere Kinder, die dort noch nicht klettern können, abzuhalten. Da kriege ich jedes Jahr schreiben und Anrufe, dass wir da doch bitte Leitern bauen mögen, damit die Kinder hochkommen. Und ich sage dann, haben Sie bitte Geduld, bis ihr Kind zwei, drei Jahre älter ist. Das hört sich böse an, ist aber so.

Was braucht es, um als Spielplatzverantwortlicher mehr Risiko einzugehen?

Es ist natürlich einfacher genormte Spielgeräte hinzustellen, die notwendigen Freiräume zu schaffen und gut ist. Es erfordert ein bisschen Mut, zu sagen, wir weichen von der Norm ab, aber es gibt Gründe, dass wir abweichen können. Und es braucht Standfestigkeit der Planer. Ich sage immer zu den Planern, wenn sie etwas Schwieriges mit einem hohen Einstiegsfilter bauen, bloß nicht nachgeben, sondern an der Planungsabsicht festhalten: Das ist ein Gerät für Kinder ab sechs Jahren und die es vorher noch nicht schaffen, müssen sich gedulden. Nur so kriegen wir wirklich auch spannende Geschichten rein.

Auch ganz wichtig: Wenn man Risiko einkalkuliert, muss man ein gut ausgebildetes und erfahrenes Team um sich haben und verlässliche, eng abgestufte Organisationsstrukturen. Auch der Austausch unter Kollegen ist sehr wichtig.

Findet Erfahrungsaustausch auch über Stadtgrenzen hinweg statt?

Ja. Ich gebe schon seit einigen Jahren Seminare zu dem Thema, weil es mir ein ganz großes Anliegen ist, diese Dinge weiterzuvermitteln. Außerdem treffe ich mich regelmäßig mit anderen Kolleginnen und Kollegen auch aus anderen Städten zum „Treffpunkt Spielplatz“ – ein loser Gesprächskreis, in dem Fragenstellungen und Probleme aus der konkreten Praxis besprochen werden. Es ist, aus meiner Sicht, ganz wichtig, offen damit umzugehen und Erfahrungen weiterzugeben. Auch ich lerne auf diese Weise noch immer dazu.

Vielen Dank, Herr Bechert, für dieses aufschlussreiche Gespräch.


Bechert

Peter Bechert leitet das Fachgebiet Spieleinrichtungen in Nürnberg und verantwortet alle öffentlichen Nürnberger Spielplätze, die Spielplätze aller Kindertagesstätten, Schulen und aller städtischen Eigenbetriebe wie Bäder, Kliniken, Museen. Dabei ist er in Wartung, Reparatur sowie Planung und Neubau von Spielplätzen eingebunden.

Nachtrag: 2015 ist Peter Bechert leider verstorben.


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