Die Spielplätze bleiben weiterhin geschlossen, um die Infektionsgefahr zu minimieren. Das Deutsche Kinderhilfswerk ist mit dieser Entscheidung nicht glücklich, denn gerade Kinder sind hart von den Einschränkungen getroffen. Ihnen fehlt es an Spiel und Bewegung an der frischen Luft. Ein Interview mit Claudia Neumann, Abteilungsleiterin Kinder- und Jugendbeteiligung und Referentin für Spiel und Bewegung des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Frau Neumann, treffen die Corona-Beschränkungen vor allem Kinder unverhältnismäßig hart?

Neumann: Ja, definitiv! Denn Kinder leiden ganz besonders unter den Kontaktbeschränkungen und den fehlenden Freiräumen für Spiel und Bewegung. Sie können ihrer wichtigsten Aufgabe, ihrer liebsten Beschäftigung – dem freien, möglichst selbstbestimmten Draußenspielen – nur noch sehr eingeschränkt nachgehen. Geschlossene Spielplätze, Kitas und Schulen, Sportvereine, Freizeiteinrichtungen, Kontaktbeschränkungen – all das führt dazu, dass sich die Kinder kaum noch richtig austoben können. Ihnen fehlt es schlicht an Bewegung, an frischer Luft, natürlichen Lichtverhältnissen, sozialen Kontakten, auch an geistigen Anregungen.

Gerade kleineren Kindern fehlt zudem das Verständnis, wieso sie nun nicht mehr mit dem besten Freund in die Kita oder auf den Spielplatz dürfen, wieso sie Ostern nicht bei der Oma verbringen durften, wieso der Turnverein seit Wochen ausfällt. Sie fühlen sich schlicht isoliert und eingesperrt und verstehen die Welt nicht mehr.

Sind Spielplatz-Schließungen daher keine adäquate Schutzmaßnahme?

Hier zeigt sich auf jeden Fall ein Dilemma, das in vielen Großstädten vorhanden ist – der Spielplatz ist zum letzten Refugium des Kinderspiels geworden. Von daher ist dies schon ein wichtiger Ort, der den Kindern so bald wie möglich wieder zur Verfügung gestellt werden sollte. Natürlich muss man da differenzieren – auf manchen Plätzen wäre die Öffnung wohl kein Problem, weil da eh nie viel los ist. Auf anderen ist die Schließung hingegen, aus unserer Sicht, erstmal der richtige Schritt gewesen. Nur kann das kein Dauerzustand sein. Wir denken, man sollte gerade die großen, weitläufigen Spielplätze zuerst wieder öffnen. Hier wäre es aus unserer Sicht durchaus möglich, anderen Kindern beim Spiel aus dem Weg zu gehen und damit nicht dicht gedrängt zum Beispiel auf einem Klettergerüst zu hocken.

Bisher sind unsere Appelle an die Politik jedoch an vielen Stellen verpufft. Auch das Robert Koch-Institut hält sich bei den Spielplätzen mit Empfehlungen zurück. Wir haben Kontakt zu vereinzelten Kommunen, die sind vielerorts ratlos und selbst hin und her gerissen. Wir sind der Ansicht, dass sich die Entscheidungsträgerinnen und -träger in Bund, Ländern und Kommunen unbedingt auch dieser Problematik zeitnah widmen müssen.

Gehen die Bedürfnisse der Kinder in der Corona-Krise unter?

Derzeit fristet das Recht auf Spiel mal wieder sein Schattendasein! 

Claudia Neumann

Derzeit fristet das Recht auf Spiel mal wieder sein Schattendasein! Wir vermissen insgesamt die pädagogische Expertise in den Fachberatungen. Gerade für die Kinder, die in absehbarer Zeit nicht in Kita oder Schule zurückkehren können, wird die Situation jedoch immer schwieriger. Und vielen Eltern gehen auch langsam die Ideen aus, was sie noch mit den Kindern anstellen sollen. Wenn es aus Infektionsschutzgründen nach wie vor nötig sein sollte, die Spielplätze geschlossen zu halten und man sie nicht einmal schrittweise öffnen kann, dann müssen halt andere kreative Lösungen her. 

Welche kreativen Lösungen könnten das sein?

Aktivspielplatz
Der Aktivspielplatz Kaltenmoor in Lüneburg bietet nun Spielzeiten für Familien an. Foto: Stadt Lüneburg

Neben Spielplätzen gäbe es noch andere Möglichkeiten für Spiel und Bewegung im Freien, die derzeit vielfach nicht nutzbar sind. Wir denken da an Abenteuerspielplätze oder Naturstationen – hier könnte ein reglementierter Zugang ermöglicht werden. Oder man lässt besonders stark betroffenen Familien exklusiv in den Zoo, um da eine Runde zu drehen und sich nicht im überfüllten Stadtpark an den Joggerinnen und Joggern vorbei drängen zu müssen. Auch der Sport im Sportverein bedeutet nicht gleich jedes Mal, dass es zu großem Gedränge auf dem Gelände oder in der Umkleidekabine kommt – Leichtathletik im Freien oder Wassersport ist sicher auch mit entsprechenden Schutzmaßnahmen machbar. Und auch die Umwandlung von ruhigen Anwohnerstraßen in temporäre Spielstraßen könnte eine gute Möglichkeit sein. Hier sehen wir die derzeitigen Initiativen beispielsweise in Berlin-Kreuzberg mit großem Wohlwollen.

Jetzt ist die Zeit, eben auch mal um die Ecke zu denken, sich mit den relevanten Akteurinnen und Akteuren in der Kommunen auszutauschen und gemeinsam kreative und sicher an einigen Stellen auch mutige Lösungen zum Wohle der Kinder zu entwickeln.

Können Kinder nicht einfach außerhalb des Spielplatzes spielen?

Sicher, Familien können auch außerhalb eines Spielplatzes draußen sein und sich im Garten oder Park austoben oder bei der Fahrradtour im Wald. Und sicher, auch in der Wohnung kann man spielen oder ein wenig Sport treiben. Doch nicht alle Familien haben auf Dauer neben Homeoffice und Homeschooling verbunden mit den existentiellen Sorgen die Energie oder schlicht solche Möglichkeiten.

Junge und Hund im Garten
Nicht jedes Kind verfügt zu Hause über einen eigenen Garten und einen Spielgefährten. Foto: pixabay.com

Gerade Kinder ohne Zugang zum eigenen Garten oder zum nahen Stadtpark, die in beengten Wohnverhältnissen mit mehreren Geschwistern ausharren müssen, wo es neben dem öffentlichen Spielplatz im unmittelbaren Wohnumfeld kaum Platz zum Spielen im verdichteten Innenstadtquartier gibt – für die müssen einfach endlich Lösungen her. Das kann man doch nicht bis zum Sommer aussitzen.

Das hieße auch, Eltern stärker in die Pflicht zu nehmen…

Wir müssen den Kindern auch in dieser Hinsicht mehr zutrauen, dann werden wir sehen, dass sie sich wie die Erwachsenen an diese Regeln halten.

Claudia Neumann

Auf jeden Fall wären die Eltern hier stärker gefordert als bisher, auf die Einhaltung der Abstandsregeln auf dem Spielplatz zu achten. Bis zu einem bestimmten Alter der Kinder erscheint es uns daher nötig, dass die Eltern die Kinder definitiv zum Spielplatz begleiten und sehr penibel drauf achten, dass es zur Einhaltung der Abstandsregeln kommt. Auch, dass sich die Kinder beim Spielen nicht ständig ins Gesicht fassen und nach dem Spielplatzbesuch erst einmal gründlich die Hände waschen. Hier hängt es sicher auch wieder vom Individuum ab, ob man das seinem Kind zutrauen kann oder nicht. Aber die Kinder lernen das Abstandhalten ja auch im Alltag, sie sehen die Warteschlangen vor den Geschäften. Das kann man Kindern plausibel erklären, warum das wichtig ist. Wir müssen den Kindern auch in dieser Hinsicht mehr zutrauen, dann werden wir sehen, dass sie sich wie die Erwachsenen an diese Regeln halten.

Befürchten Sie Langzeitfolgen auf Grund der massiven Einschränkungen?

Insgesamt ist davon auszugehen, dass lang andauernde Kontaktbeschränkungen zu einer deutlichen Entwicklungsverzögerung bei den Kindern führen. Das schlaucht zunehmend und führt zu all den negativen Folgen wie beispielsweise Haltungsschäden, Gewichtszunahme, aber auch Langeweile und Verhaltensauffälligkeiten. Welche Bedeutung geschlossene Schulen und Freizeiteinrichtungen, nicht mehr versorgende Tafeln, oder nur noch eingeschränkt tätige Sozialdienste gerade für Kinder aus bildungsfernen und von Armut betroffenen Familien bedeutet, kann man im Detail noch gar nicht absehen. Wir müssen aber davon ausgehen, dass sich die Bildungsbenachteiligung für diese Kinder weiter verschärft, arme Familien noch stärkeren finanziellen Belastungen ausgesetzt sind, dass es eine Zunahme an häuslicher Gewalt gibt, die vielfach unentdeckt bleibt.

Herzlichen Dank für das Interview! Wir sind gespannt, wie es weitergeht und hoffen, im Interesse der Kinder, auf kreative Lösungen.