Hand auf’s Herz: Hebst du dein Kind auf das Klettergerüst, wenn es von alleine nicht hochkommt? Überredest du es, höher zu klettern, obwohl es eigentlich umkehren will? Oder bremst du es manchmal aus: „Nicht so hoch! Nicht so schnell!“? Hier erfährst du, warum du damit aufhören solltest.

Kinder wollen selbstbestimmt entdecken

Wie hoch kann ich klettern, wie weit balancieren oder springen? Wie steil ist die Rutsche? Und wage ich mich bäuchlings hinunter? Reicht meine Muskelkraft für die lange Hangelstrecke? Dein Kind will Antworten auf all diese Fragen. Aber nicht von dir. Es möchte die Antworten selbst herausfinden. Sich Schritt für Schritt herantasten und eigenständig erfahren, wo seine Grenzen liegen. Daher ist es keine gute Idee, dein Kind an die Hand zu nehmen und es von Gerät zu Gerät zu führen, wie es sich auf dem Spielplatz leider viel zu häufig beobachten lässt. Wenn du deinem Kind nämlich ständig vorgibst, was es tun soll: „jetzt machen wir dies, jetzt machen wir das…“, bleibt ihm kaum die Möglichkeit, eigene Spielideen zu kreieren und selbstbestimmt zu spielen.

Auf dem Spielplatz Kinzigweg in Bad Orb können schon die Kleinsten Erfahrungen sammeln. Foto: Spielplatztreff-Userin SvenjaT / spielplatztreff.de

Kinder brauchen Freiräume zum Spielen und Ausprobieren

Natürlich kannst du auch mal gemeinsam mit deinem Kind spielen, einen Sandkuchen backen, die Schaukel anschubsen oder es zur Rutsche begleiten. Doch wenn sich die Gelegenheit bietet, halte dich bewusst zurück und lass dein Kind einfach mal machen. Die Freiräume ermöglichen es deinem Kind, selbst herauszufinden, worauf es Lust hat, was es ausprobieren mag, wie mutig es ist und was es sich schon zutraut. Vor allem ältere Kinder wollen nicht ständig unter Beobachtung stehen und auch mal unbeobachtet spielen dürfen. Deshalb ist es von Vorteil, wenn Spielplätze groß genug sind, um derartige Rückzugsräume zu bieten.

Spielplatz Dinslaken
Auf diesem großen Spielplatz in Dinslaken können Eltern ihre Kinder auch mal aus der Distanz beim Spielen zusehen. Foto: Stadt Dinslaken / spielplatztreff.de

Spiel und Risiko gehören zusammen!

Was?! Ich soll mein Kind alleine spielen lassen?! Aber wenn es sich wehtut oder gar verletzt? Dass du dich als Mutter oder Vater um dein Kind sorgst, ist normal. Denn natürlich wollen wir unsere Kinder vor Gefahren beschützen. Und selbstverständlich liegt es in unserer Verantwortung aufmerksam zu sein. Gerade Kleinkinder gilt es gut im Auge zu behalten, um im Ernstfall schnell reagieren zu können. Gleichzeitig ist es jedoch genauso wichtig, sich bewusst zu machen, dass das kindliche Spiel eben manchmal auch riskant ist. Spiel und Risiko gehören zusammen!

Gerade Spielplätze sollten Orte sein, an denen Kinder sich Schritt für Schritt an riskante Situationen herantasten können. So lernen sie, sich besser einzuschätzen und ihre Sinne zu schärfen. Eine elementare Fähigkeit für ihr ganzes Leben. Wenn du jedoch ständig neben deinem Kind herläufst und es vor vermeintlichen Gefahren warnst: „Klettere nicht zu hoch, spring nicht zu weit, lauf nicht zu schnell, pass auf, das ist gefährlich!“, kann es keine eigenen Erfahrungen sammeln und den Umgang mit riskanten Situationen nicht lernen.

Sich öfter mal zurücklehnen und die Kinder alleine auf Entdeckungstour ziehen lassen, auf diesem Spielplatz in Leiferde ist das möglich. Foto: Spielplatztreff-User vitrol / spielplatztreff.de

In die Fähigkeiten des Kindes vertrauen

Gut zu wissen: Kinder können ihre eigenen Fähigkeiten in der Regel genau einschätzen. Wenn dein Kind also hoch hinaufklettert, dann deshalb, weil es sich das selbst zutraut und weil es das kann. Wenn es deinem Kind zu hoch wird, kehrt es von selbst wieder um. 

Deshalb solltest du es nicht am Klettern hindern. Genauso wenig solltest du versuchen, es mit Durchhalteparolen, wie „Los höher, trau dich!“, zu pushen. Dadurch bringst du dein Kind unnötig in Bedrängnis. Indem es nämlich auf dich hört und nicht auf seine instinktiven Warnsysteme, klettert es höher als gewollt und kann sich dort oben plötzlich überfordert und verunsichert fühlen. Wenn es aus dieser prekären Lage nicht wieder alleine herauskommt, bleibt am Ende vielleicht nur die frustrierende Erfahrung: ich habe es nicht geschafft, klettern kann ich nicht. Ob und wie hoch dein Kind klettert, entscheidet es also am besten selbst! 

Hoch geklettert und alles fest im Griff auf dem Spielplatz Walberberg in Bornheim. Foto: Spielplatztreff-Userin: MelanieB / spielplatztreff.de

Falls es dir schwer fällt, dein eigenes Kind in schwindelerregenden Höhen beim Klettern zu beobachten, dann versuch in solchen Momenten stärker in die Fähigkeiten deines Kindes zu vertrauen. Halte deine Sorgen und Ängste bewusst zurück und sage dir: Mein Kind kann das! Auch wenn es dir zunächst schwerfällt, wirst du sehen, dein Vertrauen wird wachsen und dein Kind meistert viel häufiger Situationen alleine, als du vorher gedacht hättest. Wusstet du eigentlich, dass Kinder immer mit Dreipunktsicherung klettern? Zwei Füße, eine Hand – zwei Hände, ein Fuß. So sind sie gut gesichert.

Sicherheitsmechanismen nicht aushebeln

Besonders gefährlich wird es, wenn du eingebaute Sicherheitsmechanismen aushebelst. Das passiert schneller als gedacht. Nämlich jedes Mal dann, wenn du dein auf ein Klettergerüst hebst, auf das es alleine noch nicht hochgekommen wäre. Warum ist das so gefährlich? Durch das Hochheben überspringt dein Kind mit deiner Hilfe eine so genannte Einstiegshürde am Klettergerät, die es alleine gar nicht hätte überspringen können. Das kann z. B. eine höher angebrachte Leitersprosse sein oder ein besonders steiler Aufstieg, der viel Armkraft voraussetzt. Die Idee dahinter: Nur wenn ein Kind die motorischen Fähigkeiten besitzt, diese Hürde selbstständig zu überwinden, kann es weiter hinaufklettern. Damit ist sichergestellt, dass es mit den Gegebenheiten oben auf dem Klettergerät gut zurechtkommt. 

Hilfst du deinem Kind jedoch über die Einstiegshürde hinweg, wird der eingebaute Sicherheitsmechanismus wirkungslos und dein Kind gerät oben auf dem Klettergerät womöglich in Schwierigkeiten. Denn die Haltegriffe, die Trittflächen, das Geländer oder auch die Fallhöhe sind gar nicht auf die kleineren Körpermaße und die motorischen Fähigkeiten deines Kindes ausgelegt. Diese überfordernde Situation kann bei deinem Kind Angst und Panik auslösen und im schlimmsten Fall zum Absturz führen. Übrigens eine Unfallursache, die lt. Spielplatz-Verantwortliche in den Städten und Gemeinden gar nicht so selten vorkommt. Der Vollständigkeit halber muss jedoch auch gesagt werden, dass Spielplatz-Verantwortliche genau diese Situation mit einem schlecht durchdachten Angebot provozieren. Spielplätze, die von Eltern mit ihren Kleinkindern besucht werden, sollten eben auch entsprechend  ausgestattet sein. 

Fallen will gelernt sein

Ziel ist es dennoch nicht, sämtliches Verletzungsrisiko auf dem Spielplatz auszuschließen. Im Gegenteil: Fallen will gelernt sein. Daher ist es gut, wenn dein Kind beim Spielen und Toben auch mal hinfällt und sich eine Beule oder Schürfwunde holt. Sogar Prellungen und gelegentlich ein Bein- oder Armbruch sind, lt. Spielplatznorm, drin. Indem erkennbare Risiken mit einkalkuliert werden, lernen Kinder mit diesen umzugehen. So erfahren sie, was passiert, wenn sie abrutschen oder das Gleichgewicht verlieren und trainieren ihre motorischen Fähigkeiten. Versteckte Gefahren hingegen, die zu schweren Verletzungen mit bleibenden Schäden oder sogar zum Tod führen können, gilt es auszuschließen. Und darum kümmern sich regelmäßig zertifizierte Spielplatzprüfer- und -prüferinnen, wenn sie die Spielplatz-Sicherheit checken.

Unsere Stimme für bessere Spielplätze!

Entsteht ein neuer Spielplatz, werden zunehmend Kinder in die Planung mit eingebunden und nach ihren Ideen und Wünschen befragt. Eine richtige und wichtige Entwicklung, zu der sich Deutschland lt. UN-Kinderrechtskonvention Artikel 12 verpflichtet hat.

Die riesige Kletteranlage im Schleepark in Hamburg fordert auch ältere Kinder noch heraus. Foto: Spielplatztreff-User KLETTERMAX

Damit es gelingt, sollten Beteiligungsverfahren professionell umgesetzt werden. Und wir Eltern sollten uns bewusst machen: Bei der Planung eines Spielplatzes geht es darum, Entwicklungschancen für unsere Kinder zu kreieren. Es ist nicht das Ziel, sämtliche potentielle Gefahren bereits im Vorfeld zu beseitigen. Letzteres im Fokus legen besorgte Eltern voreilig ihr Veto ein, wenn sie meinen, der geplante Kletterfels ist zu spitz, der Untergrund zu rutschig, das neue Klettergerät zu schwierig oder die Rutsche zu steil. Das Ergebnis sind schöne, aber langweilige, weil viel zu übersicherte, neue Spielplätze. Bereits nach fünf Minuten gibt es für unsere Kinder dort nichts mehr zu entdecken und keine Herausforderung zu meistern. Schade und das viele Geld und die vergebene Chance!

Deshalb ist es so wichtig, dass wir Eltern dringend verstehen, dass Spiel und Risiko zusammengehören. Nur dann gelingt es uns, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Nur dann machen wir uns stark für Spielplätze, die unseren Kindern Risikoerfahrungen und körperliche Herausforderungen ermöglichen, an denen sie wachsen können.

Wie denkst du darüber? Und wie gehst du mit Risiko um? Bist du eher #teamvertrauen oder #teamsichern? Schreib’s unten in die Kommentare.


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Dieser Artikel basiert auf der Grundlage jeder Menge Interviews, die ich in den vergangenen Jahren für meinen Spielplatztreff Blog mit Spielplatz-Expertinnen und -Experten geführt habe. Ich verlinke euch hier drei dieser Interviews passend zum Thema.

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